Quercus

„Die Eiche wäre nicht so stark, wenn es keine Stürme gäbe.“

[Volksmund]

Die Gattung Quercus aus der Familie der Buchengewächse umfasst weltweit etwa vier- bis fünfhundert Arten. Es handelt sich um sommergrüne oder immergrüne Bäume mit wechselständigen Blättern, die insbesondere bei den einheimischen Arten gelappte und ledrige Blattspreite aufweisen. An der unverwechselbaren Blattform lassen sich Eichen hierzulande gut erkennen. In Mitteleuropa sind zwei Arten heimisch, die Stieleiche und die Traubeneiche, welche sich stark ähneln und mitunter hybride Formen bilden. Die Rinde ist bei jungen Bäumen glatt und von grau-grüner Färbung. Mit den Jahren bildet sich eine dunkelbraune Borke mit tiefen längsrissigen Furchen aus. Eichen nehmen gegenwärtig einen Anteil von etwa zehn Prozent an der Gesamtfläche des deutschen Waldes ein. Zahlreiche Eichenvorkommen sind bereits in frühen Zeiten durch den Menschen gepflanzt oder zumindest in ihrer Ausbreitung gefördert worden, da der Baum für die Viehwirtschaft eine wertvolle Nahrungsquelle darstellte. Mittlerweile sind einige weitere Arten der Gattung Quercus durch gezielte Anpflanzungen in Deutschland angesiedelt worden. In der Forstwirtschaft werden Eichen aufgrund ihres harten und witterungsbeständigen Holzes angebaut. Unverkennbar sind die Nussfrüchte des Baums, die an ihrer Rückseite von einer Kappe umschlossen werden. Eicheln sind im frühen Herbst reif und fallen nach ihrer vollständigen Ausbildung zu Boden. Die heimischen Eichenarten können ein Alter von etwa achthundert, in seltenen Fällen von bis zu tausend Jahren, eine Wuchshöhe von zwanzig bis vierzig Meter und einen Stammdurchmesser von bis zu acht Meter erreichen. Sie bevorzugen tiefgründige und nährstoffreiche Böden.

 

Mythos

In der Mitte des Gartens wächst eine Eiche, deren von Efeu umranktes Astwerk ausladend die Veranda beschirmt. Obwohl der Baum in meinem Alter ist, überragt er mich bei Weitem. Das ist strenggenommen kein Wunder, sondern nur allzu natürlich, ja geradezu selbstverständlich und deshalb kaum der Rede wert. Trotzdem bin ich immer wieder verblüfft, wenn ich auf der Veranda sitze und himmelwärts in seine Krone blicke, die sich majestätisch im Seewind wiegt und dabei sanft zu flüstern scheint. Im Vergleich zu mir wirkt der Baum geradezu altersweise und erhaben. Da wir zum selben Jahrgang gehören und die Eiche überdies im Gegensatz zu mir ihr ganzes Leben im Garten herumgestanden hat ohne die weite Welt kennenzulernen und sich in ihr zu erproben, erscheint mir das doch ein wenig ungerecht. Nun, wer sagt, dass man weltgewandt und reiselustig sein muss, um Weisheit zu erlangen? Und können Bäume überhaupt weise sein oder ist das alles nur hineinprojizierter romantisierender Quatsch? Es bleibt mir hoffentlich noch etwas Zeit, um das herauszufinden und darüber vielleicht selbst ein wenig weiser zu werden. Derweil übe ich mich in Zufriedenheit, was Herausforderung genug ist. Jetzt im Herbst donnern bei jedem Windstoß Salven reifer Eicheln auf das Dach der Veranda. Ihr Laub wird die Eiche erst spät verlieren, lange noch taumeln die trockenen Blätter am Geäst und warten auf den richtigen Zeitpunkt ihres Fallens.

Im germanischen Altertum gehörte die Eiche zu den am meisten verehrten Bäumen. Das mag mit Sicherheit auch daran gelegen haben, dass ihre Früchte für Mensch und Tier eine nahrhafte Speise darstellen. Bis in die Neuzeit trieb man die Hausschweine in sogenannte Hutewälder. Dort konnten sie sich an den hinabgefallenen Eicheln gütlich tun. Ihre Verwendung als Nahrungsbäume rückte die Eichen im Verständnis der Menschen sicher bereits früh in den Bereich der Landwirtschaft. Dass ausgewachsene Exemplare der Gattung Quercus manch anderes Gehölz in ihrem Umkreis bei weitem überragen und deshalb bei Gewittern recht häufig von Blitzen getroffen werden, mag überdies dafür gesorgt haben, dass Eichen im magischen Denken der Leute mit Wettergottheiten in Beziehung gesetzt wurden, die ebenfalls für die Landwirtschaft von großer Bedeutung waren. In vorchristlicher Zeit brachte man Eichen oft mit dem Donner- und Wettergott Donar/Thor in Zusammenhang. Noch heute finden sich an vielen Orten in Deutschland Donareichen. Als Wettergottheit ist Donar/Thor auch für die Fruchtbarkeit zuständig.

Im Dodauer Forst an der B 76 zwischen Eutin und Plön befindet sich die Bräutigamseiche. Wie der Name bereits nahelegt, ist dieser Baum eng verbunden mit Hochzeit und Eheanbahnung, also letztendlich mit Fruchtbarkeit. Unter seinem breiten Blätterdach heiratete Ende des 19. Jahrhunderts die Tochter des örtlichen Oberforstmeisters einen angesehenen Schokoladenfabrikanten. Der Vater der Braut stellte sich dieser Verbindung zunächst vehement in den Weg. In aller Heimlichkeit tauschte das Liebespaar daher Briefe aus, die es in einem Astloch des Baumes deponierte. Nach einiger Zeit sah der alte Herr ein, dass er dem Willen seiner Tochter stattgeben musste und billigte die Hochzeit. Seither ist die Eiche zu einer wahren Attraktion geworden. Heiratswillige aus aller Welt treten über einen am Stamm installierten Briefkasten miteinander in Kontakt. Lange Zeit war die Dodauer Bräutigamseiche der einzige Baum auf der Welt mit eigener Postanschrift.[1]

Neben dem Aspekt der Fruchtbarkeit verkörpert die majestätische Eiche Weisheit und Allmacht der Götter. Baumkulte waren bereits in der Antike verbreitet und finden sich bis in die Gegenwart in unterschiedlichen Kulturräumen. Man verehrte einzelne imposante Exemplare oder auch ganze Wälder und Haine als Symbol oder Epiphanie des Numinosen. Dodona gilt als älteste Orakelstätte Griechenlands. In alter Zeit soll Zeus dort durch das Blätterrascheln einer heiligen Eiche zu den Menschen gesprochen haben.[2] Nahe der Stadt Hebron im Westjordanland befinden sich auf dem Gelände eines russisch-orthodoxen Klosters die vielfach gestützten Relikte einer uralten Eiche. Der Baum wird noch heute gleichermaßen von Juden, Christen und Moslems als Kultstätte Abrahams verehrt. Im vorchristlichen Germanien existierten zahlreiche Kultstätten, in denen Bäume als Erscheinung des Göttlichen verehrt wurden. Im heutigen Nordhessen wuchs beispielsweise eine Eiche, die Donar/Thor geweiht war. Bekannt wurde der Baum durch den Umstand seiner Vernichtung. Der Missionar Bonifatius fällte die heilige Donareiche im achten Jahrhundert, um die eingeborenen Chatten davon zu überzeugen, dass ihr Gott dem christlichen unterlegen sei. Eine allemal drastische Heidenmission des aus England stammenden Apostels der Deutschen, den einige Jahre später das gleiche Schicksal ereilte wie die heilige Eiche. Auf einer Missionsreise an die südliche Nordsee wurde er von heidnischen Friesen erschlagen.[3]

Ihre Nähe zur Religion und Kult brachte die Eiche in den Ruf besondere Zauberkraft zu besitzen. In der Volksüberlieferung tritt sie diesbezüglich allerdings außerordentlich ambivalent in Erscheinung. Einerseits brachten die Leute allerlei bösartiges Hexenwerk mit dem Baum in Verbindung. So nahm man etwa an, dass niederträchtige Zauberinnen Eichenlaub in Töpfen zum Sieden brächten, um Unwetter zu erzeugen. Andererseits galt die Eiche als apotropäisch und man setzte sie ein, um Schadenszauber abzuwehren. Zu diesem Zweck verfuhr man in derselben Weise wie bei anderen vegetabilen Abwehrmitteln – man deponierte Holz und Laub an besonderen Stellen in Haus und Hof, fütterte und bestrich das Vieh damit und dachte sich weitere phantasievolle Praktiken aus, um Hexen, Dämonen und Gespenster zu verjagen.[4]

Die Eiche gilt als Nationalbaum der Deutschen, als ihr vegetabiles Totem sozusagen. Nationalstaatsbewegung und Germanenbegeisterung waren im 19. Jahrhundert hierzulande eng ineinander verwoben, was wohl maßgeblich dafür gesorgt haben mag, dass dem heiligen Baum der Ahnen diese Rolle zugedacht wurde. Dass das harte Holz der Eiche den Menschen seit Urzeiten als Symbol für Langlebigkeit, Sieg, Widerstandskraft und Treue galt,[5] wird mit dazu beigetragen haben, den Baum als Projektionsfläche nationaler Identität zu nutzen. Eichenlaub wurde bis in unsere Zeit von verschiedenen deutschen Systemen in politischen und militärischen Zusammenhängen verwendet, etwa als Uniformschmuck und Hoheitszeichen. Nach dem gemeinsamen Sieg der deutschen Staaten im Deutsch-Französischen Krieg und der daran anschließenden Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Januar 1871 wurden allerorten Friedenseichen als Ausdruck großdeutschen Selbstverständnisses gepflanzt.

Deutsch-Dänischer Krieg von 1864 und Reichsgründung sorgten im lange anhaltenden Konflikt zwischen Dänen und Deutschen dafür, dass die Herzogtümer Schleswig und Holstein Teil Deutschlands wurden. Als symbolische Bezugnahme auf den Vertrag von Ripen aus dem Jahre 1460, der eine Teilung der beiden Herzogtümer ausschloss („Up ewig ungedeelt“), pflanzte man sogenannte Doppeleichen. In der Landeshymne Schleswig-Holsteins heisst es in der siebten Strophe: „Teures Land, du Doppeleiche, / unter einer Krone Dach, / stehe fest und nimmer weiche, / wie der Feind auch dräuen mag! / Schleswig-Holstein, stammverwandt, / wanke nicht, mein Vaterland!“[6] Auch in der Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft bediente man sich der Eichensymbolik. So wurden etwa bei den olympischen Sommerspielen von 1936 kleine Eichbaumsetzlinge, sogenannte Olympiaeichen, an die Sieger verteilt. Noch heute gedeihen manche von ihnen als imposante Baumriesen an den entlegensten Orten der Welt.[7] Auch offizielle Stellen der Bundesrepublik Deutschland bedienen sich weiterhin der Eichensymbolik. Wie schon bei Reichsmark und Deutscher Mark findet sich auf den kleinsten der deutschen Euromünzen Eichenlaub. Doch beschränkt sich die Symbolik des Baums auch in der jüngsten Vergangenheit nicht allein auf nationale Bezüge. Ein Beispiel dafür ist das Landschaftskunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“, das Joseph Beuys auf der documenta 7 in Kassel der Öffentlichkeit vorstellte und das nach mehrjährigen Pflanzungen im Jahr 1987 abgeschlossen werden konnte.

 

Kost

Eicheln sind reich an Kohlenhydraten, Eiweiß und anderen lebenswichtigen Nährstoffen. Keineswegs nur in Notzeiten wurden sie von den Menschen verzehrt. Allerdings sind die Nussfrüchte unbehandelt aufgrund ihrer bitteren Gerbstoffe ungenießbar. Durch mehrmaliges Wässern lassen sich diese Inhaltsstoffe allerdings problemlos entfernen. Empfehlenswert ist, die Eicheln vorher zu schälen. Man wässert so lange, bis das Wasser nach einiger Zeit keine bräunliche Färbung mehr aufweist. Gekochtes Wasser verkürzt die Prozedur. Anschließend können die Eicheln vielseitig verarbeitet werden. Geröstet und gemahlen wurden sie von unseren Vorfahren etwa als Kaffeeersatz verwendet. Die gewässerten und getrockneten Früchte werden in kleine Stücke geschnitten, in einer Pfanne geröstet und gemahlen. Pro Tasse wird ein Kaffeelöffel des Pulvers für etwa zehn Minuten in Wasser gekocht. Auch Mehl lässt sich aus den geschälten und gewässerten Eicheln herstellen, das aufgrund der fehlenden Bindestoffe allerdings 1:2 mit Weizenmehl gemischt werden sollte. Lecker sind auch gekochte Eicheln als Gemüsebeilage. Dazu verwendet man ebenfalls vorher gewässerte Früchte.

 Anmerkungen

[1] Zur Bräutigamseiche vgl. Klerch 1981. Die aktuelle Postanschrift lautet: Bräutigamseiche, Dodauer Forst, 23701 Eutin.

[2] Vgl. Ekschmitt 1998.

[3] Vgl. Padberg 2003.

[4] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008,II: 649ff.

[5] Vgl. Beuchert 2004: 69ff.

[6] Der Zugehörigkeit Schleswig-Holsteins zu Deutschland wird hier durch das Bild der Eiche Ausdruck verliehen. Gleiches gilt für die Hymne des Bundeslandes Niedersachsen: „Fest wie unsre Eichen halten / Allezeit wir stand, / Wenn Stürme brausen / Über’s deutsche Vaterland.“

[7] Vgl. Constandt 1994.

Verwendete Literatur