Die Vertreibung aus dem Paradies: Ackerbauern und Viehzüchter

10.000 v. u. Z. – 1800 n. u. Z.

„Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist.“[Gott zu Adam bei der Vertreibung aus dem Paradies], Grafik: Neolithisierung (Otto 2019)

Über Jahrmillionen folgen unsere Ahnen den Fährten wilder Tiere. Doch dann, vor etwa zwölftausend Jahren, kommt es zu einem umwälzenden Epochenwechsel in der Menschheitsgeschichte. Zu dieser Zeit leben etwa fünf Millionen Menschen auf dem gesamten Planeten. Und immer mehr Jäger und Sammler werden sesshafte Bauern. Heute weiß niemand so recht, weshalb dies damals geschah. Vielleicht hatten die Leute einfach keine Lust mehr auf das ruhelose Umherschweifen. Ursächlich für den Wandel der Arbeitswelt mag wohl auch der damalige Klimawandel gewesen sein. Die erdgeschichtliche Epoche des Pleistozäns, welche von langen anhaltenden Vergletscherungen geprägt war, wurde damals von einer bis heute andauernden Warmzeit abgelöst, dem Holozän. Durch den Temperaturanstieg verändert sich Landschaft, Flora und Fauna. Wo über Jahrhundertausende Permafrost die Böden versiegelt hatte, sprießen nun ausgedehnte Wälder. Moore breiten sich in der norddeutschen Tiefebene aus. Während in Mitteleuropa die Menschen noch einige weitere Jahrtausende als Jäger und Sammler leben, beginnt man im Fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens, später in Südchina und Mittelamerika, Landwirtschaft zu betreiben.

Die Neolithische Revolution, Urknall der modernen Zivilisation. Aus Südost, westwärts den großen Flüssen Donau und Elbe folgend, gelangt die neue Idee vor etwa siebentausend Jahren auch in unsere Gegend. Auf der Balkanroute bringen Ackerbauern und Viehzüchter eine neue Art des Lebens ins Mitteleuropa der Jäger und Sammler. Auch ihre Haustiere führen die Migranten aus dem Südosten mit sich. Schafe, Ziegen, Schweine und Rinder, gezüchtet aus vorderasiatischen Wildformen. Überall und unaufhaltsam, vom Schwarzen Meer bis an die Atlantikküste setzt sich in Europa nach und nach die bäuerliche Lebensweise durch. Allen Krisen und Hungersnöten zum Trotz. Denn der bäuerliche Lifestyle ist nicht unbedingt der Gesundheit förderlich. Krankheiten breiten sich aus. Vor allem aufgrund veränderter Ernährungsweisen und distanzloser Nähe der Menschen zu ihrem Vieh. Archäologische Knochenfunde aus jener Übergangszeit belegen die degenerative Auswirkung der Neolithisierung. Die Bauern der Jungsteinzeit sind kleiner gewachsen als ihre Vorfahren, die umherschweifenden Jäger und Sammler. Sie leiden häufiger an Krankheiten und sterben jünger.[1] Ein Widerhall davon findet sich möglicherweise auch bei Hesiod. Ihm zufolge folgte auf das goldene das silberne Zeitalter.[2] Die Menschen hätten damals damit aufgehört, den Göttern die nötige Ehre zu erweisen. Kaum einer behüteten Kindheit im Haus entwachsen, wären sie von Leiden umgeben rasch gestorben.

Nun also fängt man auch in unserer Gegend damit an, feste Häuser zu bauen und seine Nahrung selbst zu produzieren. Im östlichen und und nördlichen Mitteleuropa breitet sich die sogenannte Trichterbecherkultur des Frühneolithikums aus, benannt nach den typischen Keramikerzeugnissen jener Zeit. Etwas südlicher erscheinen die Bandkeramiker auf der Bildfläche. Vorratshaltung gewinnt in der bäuerlichen Wirtschaftsweise zunehmend an Bedeutung. Der Mensch wird sesshaft und prägt die Landschaft nachhaltig. Aus Wildnis wird Kulturland. Siedlungen, Äcker und Weiden überformen ehemalige Naturräume. Die Menschen beginnen damit die großen Findlinge, die von den Gletschern der letzten Eiszeit weit über das Land verstreut worden waren, für ehrgeizige Bauprojekte zu nutzen. Im Spätneolithikum, vor rund fünftausendfünfhundert Jahren entstehen die beeindruckenden Steinformationen der Megalithkultur – Hünengräber, Dolmen, Ganggräber: Erste Zeugnisse dauerhafter Architektur.

Riesige Bauwerke zur Himmelsobservation, sogenannte Kreisgrabenanlagen werden in Europa errichtet. Das Sonnenobservatorium von Goseck gilt mit rund siebentausend Jahren als älteste bisher bekannte Anlage dieser Art. Dagegen nimmt sich Stonehenge mit einem maximalen Alter von etwa fünftausend Jahren vergleichsweise jung aus. Die bis zu zweihundert Meter im Durchmesser messenden Bauwerke sind stets im Zusammenhang mit einer nahen Siedlung zu betrachten. Frühe bäuerliche Gemeinschaften errichten diese Monumente. Im Schatten der Langhäuser macht man sich Gedanken über den Himmelslauf und seine Möglichkeiten zur Zeitbestimmung zwecks Terminierung von Aussaat und Ernte. Erst mit der Seßhaftwerdung ist es durch eine ortsgebundene Perspektive möglich geworden, astronomische Zyklen, etwa die der Sonnenwenden und Äquinoktien zu erfassen und durch Bauwerke erfahrbar zu machen.

Anstatt dem Wild weiterhin nachzustellen, beginnen die Leute der Jungsteinzeit Schafe und Ziegen in eingezäunte Gehege zu sperren und Rinder und Schweine zu züchten. Menschliche Auswahlkriterien ersetzten die Evolution. Der Mensch macht sich die Erde untertan. Begleitet werden unsere Vorfahren seit der Altsteinzeit dabei von Hunden. Aufgrund der Ähnlichkeit früher Formen des Haushundes mit dem Wolf gestaltet sich eine genaue Datierung der Domestikation recht schwierig. Zwischen hunderttausend und zwanzigtausend Jahre werden von Wissenschaftlern angeführt. Jüngste Untersuchungen der mitochondrialen DNA prähistorischer Caniden weißen darauf hin, dass der Ursprung unseres treuesten Gefährten vermutlich in Europa zu suchen ist.[3] Ohne Hunde jedenfalls wäre die Neolithisierung kaum möglich gewesen. Wach- und Hütehunde waren die unbedingte Voraussetzung des Strukturwandels. Erst durch den Hund wurde der Mensch zu dem, was er heute ist.

Pferde werden erstmals vor fünf- bis siebentausend Jahren in Zentralasien domestiziert, in unserer Gegend etwas später, nachweislich erst vor etwa dreieinhalbtausend Jahren, also bereits in der Bronzezeit.[4] Hoch zu Roß beginnt das Zeitalter der Reiter und Recken. Durch das Hauspferd gewinnt man an Mobilität. Größere Strecken können nun in kürzester Zeit überwunden werden. Auch zum Transport und zum vielfältigen Einsatz in der Landwirtschaft bringt das Pferd unseren Ahnen zahlreiche Vorteile. Vor rund fünftausend Jahren wird dann das Rad etwa zeitgleich an verschiedenen Orten in Europa und Asien erfunden. Die indianischen Kulturen Amerikas sollten diese bahnbrechende Erfindung für das Transportwesen erst mit der Ankunft der Europäer kennenlernen. Trotzdem schufen die präkolumbischen Maya und Inka beeindruckende Architektur, Kunst und Kultur. In der Alten Welt jedenfalls trieb das Rad die Neolithisierung weiter voran und wurde Voraussetzung für viele weitere Neuerungen. Durch das Rad lassen sich schwere Lasten über weite Strecken transportieren, der Mensch kann sich schneller ausbreiten, ist mobiler. Die Geschwindigkeit nimmt über die Jahrhunderte immer mehr an Fahrt auf  –  durch Fuhrwerke, Segelschiffe, später durch maschinenbetriebene Vehikel, etwa Eisenbahn, Dampfschiff, Automobil, Flugzeug.

Zahlreiche technische Errungenschaften zeitigt die Jungsteinzeit. Allerdings ist sie wohl auch die Geburtsstunde des Krieges im engeren Sinn. Zwar kennen bereits Jäger und Sammler kriegerische Auseinandersetzungen, allerdings gewinnt der Krieg seit dem Neolithikum zunehmend an Bedeutung, da durch Seßhaftwerdung, Grund- und Privatbesitz Begehrlichkeiten geschaffen werden, die es vorher nicht gegeben hatte.[5] Auch das Verhältnis zur Umwelt ändert sich durch die Neolithisierung grundlegend. Befanden sich unsere Vorfahren in der frühen Altsteinzeit sozusagen noch auf Augenhöhe mit der Tierwelt, waren ihr in vielerlei Hinsicht sogar unterlegen, ändert sich dieses Verhältnis erst mit dem Beginn der Nutzung des Feuers vor knapp einer Million Jahre. Ein Feuer selbständig zu entfachen lernen die Menschen allerdings erst sehr viel später. In der württembergischen Vogelherdhöhle fand man Utensilien zum Feuermachen, die auf ein Alter von etwa dreißigtausend Jahren datieren.[6]

Getreideernte im indischen Madhya Pradesh (Bildquelle: Yann Forget, Wikipedia)

Von dem Augenblick an, da der Mensch das Feuer zu beherrschen versteht, ist er der Tierwelt überlegen. Selbst gefährliche Raubtiere verlieren ihren größten Schrecken, lassen sich fortan vertreiben. Ums Feuer versammeln sich die Menschen, dort kann sich die Sprache weiterentwickeln. Licht und Wärme vertreiben Kälte und Finsternisse. Die Nacht verliert ihre Macht. Düstere Höhlen lassen sich mithilfe des Feuers erkunden und als Wohnstatt und Kultort nutzen. Am Feuer werden Ereignissen des vergangenen Tages besprochen und Pläne für den folgenden geschmiedet. Feuer als Internet der Steinzeit. Und nur durch das Feuer kann auch der kalte und feuchte Norden besiedelt werden. Die Macht über das Feuer verschafft dem Menschen Vorteile in vielfacher Hinsicht. Seine Lebensweise als Wildbeuter wird dadurch allerdings nicht grundlegend verändert. Einen wirklich drastischen Wendepunkt in der Geschichte der Menschheit stellt erst die Einführung der Landwirtschaft dar. Man kämpft nun nicht mehr Angesicht zu Angesicht mit wildlebenden Tieren. Stattdessen macht man sich die Erde untertan, indem man Tiere und Pflanzen zur ständigen Verfügbarkeit einhegt und sie entsprechend ihres Nutzwertes für den Menschen durch Zucht manipuliert. Seit der Jungsteinzeit sind die Menschen Herren der Welt. So wird es ihnen zumindest erschienen sein. Gemessen an der gesamten Menschheitsgeschichte gibt es Landwirtschaft allerdings gleichsam nur seit einem Augenblick.

„Und Gott pflanze einen Garten in Eden, gegen Osten hin und setzte die Menschen hinein, den er gemacht hatte.“[7] Möglicherweise haben die Ereignisse der Neolithischen Revolution sich auch in der biblischen Überlieferung niedergeschlagen. Einige Forscher vermuten, dass die Erzählung vom Garten Eden und der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies, wie sie im Alten Testament zu lesen ist, auf reale Entwicklungen in der Region gründen, die, über Jahrtausende mündlich tradiert, als vage Erinnerungen schriftlich fixiert wurden.[8] Die Eden-Hypothese des britischen Ägyptologen David Rohl lokalisiert den Garten Eden in der nordiranischen Ebene von Täbris.[9] Das Paradies wird in der Genesis erstaunlicherweise tatsächlich in jener Region verortet, in der sich die Keimzelle des Getreideanbaus befand, nämlich im fruchtbaren Halbmond zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Dort lebt man nach dem Ende der letzten Eiszeit glücklich und zufrieden wie in Hesiods Goldenem Zeitalter. Die Temperaturen steigen, die Landschaft wird insgesamt grüner und lieblicher. Große Tierherden bevölkern die weiten Ebenen und sanften Hügel. Man jagd Gazellen und errichtet imposante Tempelanlagen mit Schlangendarstellungen. Doch laut Mythos sollte es noch schlimm kommen. Als Adam und Eva, durch die Schlange verführt, von den verbotenen Früchten des Baums der Erkenntnis kosten, vertreibt Gott sie zornig aus dem Garten. Als Strafe für ihr ungeheures Vergehen sollen sie fortan unter beständiger Mühsal das Land beackern. Im Exil kommt es bereits in zweiter Generation zum Konflikt. Der Ackerbauer Kain tötet seinen jüngeren Bruder, den Viehzüchter Abel. Die sesshafte Lebensweise dominiert über den bis zu diesem Zeitpunkt praktizierten Nomadismus. Privatbesitz, Krieg und harte Arbeit halten Einzug in die Lebenswelt des Menschen. Vielleicht ist der Baum der Erkenntnis Sinnbild der Getreidepflanze, die in der Region weltweit erstmals domestiziert wurde.

Welf-Gerrit Otto

Früher: Sisyphos 1: Die ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft

Später: Sisyphos 3: Dampfmaschinen, Automatengötter, Aufbruchstimmung

Hörtipps zur Lektüre:

Anmerkungen

[1] Vgl. Wells 2003: 234ff.

[2] Vgl. Hesiod: Werke und Tage 127-142.

[3] Vgl. Thalmann 2013.

[4] Vgl. Anthony 1986.

[5] Vgl. Kelly 2006.

[6] Vgl. Weiner / Floss 2004.

[7] 1. Mose 2.8.

[8] Vgl. Schulz 2006.

[9] Rohl 1998.

Literatur