„Verba volant, scripta manent!“
Der Staatsmann Caius Titus soll sich dieser Wendung einst vor dem römischen Senat befleißigt haben. Sie besagt, dass Gesprochenes ohne Dauer ist, Geschriebenes aber bestehen bleibt. Weshalb und ob er diese Worte wirklich sprach und weshalb man sie anschließend niederschrieb, konnte ich leider nicht herausfinden. Auf jeden Fall haben sie auch nach rund zweitausend Jahren bleibenden Eindruck hinterlassen, womit sie sich offenkundig selbst in ihrer Aussage bestätigen.
Die Geschichte der Schrift ist hochkomplex. Wo und wann ihre Wurzeln zu finden sind, bleibt indes im Unklaren. Ob die ab dem Jungpaläolithikum vor etwa 45.000 Jahren entstandenen Höhlenmalereien bereits als Protoschrift gelten können, ist umstritten. Zumindest fixieren sie in bildlicher Form menschliche Erfahrungen und Weltvorstellungen. Und hier, in der bildnerischen Formgebung der Gedankenwelt, befindet sich auch eine Schnittstelle zwischen Schrift und Kunst.
Eine weitere Schnittstelle zwischen Schrift und Kunst ist selbstverständlich der durch die Schrift transportierte Content, nämlich im besten Falle Dichtkunst und Literatur. In diesem Zusammenhang ist die Erkenntnis allerdings bemerkenswert, dass Schrift im engeren Sinne zuerst als schnödes Verwaltungs-Vehikel diente. Neben den ägyptischen Hieroglyphen gilt die etwa 3300 vor unserer Zeitrechnung entstandene sumerische Keilschrift als älteste bekannte Schriftform überhaupt. Im dritten vorchristlichen Jahrhundert erlebten die sumerischen Städte Uruk, Ur und Lagaš eine ungeheure Blühte, in deren Folge auch die Tempelbürokratie an Bedeutung gewann. Als Instrument administrativer Kontrolle für Warenverkehr, Lohnlisten, Kaufverträge und Steuerdokumente nahm die Schrift ihren Ursprung. Erst später folgten religiöse Texte, Belletristik und wissenschaftliche Abhandlungen.
All diesen Schriftstücken ist gemeinsam, dass sie das flüchtige Wort dauerhaft bannten und dadurch memorierbar machten. Die vormals mündliche Überlieferung verlor in ihrer schriftlichen Fixierung an Flexibilität und gewann nachweisbare Verbindlichkeit. War die Keilschrift in ihren Anfängen noch reine Symbol- beziehungsweise Bildsprache, wurde sie mit der Zeit zur Lautsprache. Ursprünglich standen etwa gezeichnete Wellen für „Wasser“, stilisierte Sterne für „Gestirne des Himmels“ und so weiter. Später kam es auf dieser Ebene der Bildsprache zu Komposita. Die Zeichen für „Frau“ und „Schmuck“ transportierten etwa die Bedeutung „Fürstin“.
Der nächste Schritt, den die Schrift nahm, war ungleich abstrakter. Denn nun kam die Phonetik mit ins Spiel. Das Rebus-Prinzip sollte die Schrift revolutionieren. Und das geschah verhältnismäßig früh, jedenfalls lange vor der Zeitenwende. Im Kern bedeutet das Rebus-Prinzip, dass die Schriftzeichen ohne Rücksicht auf ihre ursprüngliche Bedeutung als Lautzeichen verwendet werden. Der Lautwert des Symbols „Wasser“ im sumerischen Beispiel bedeutet beispielsweise auch die Präposition „in“ und wurde in der Folge dementsprechend verwendet. Zur besseren Veranschaulichung des Rebus-Prinzips hier ein Beispiel aus dem Arsenal unserer Sonderzeichen: „T#s Heim, Glück allein“ (= T-raute-s Heim, Glück allein).
Mit der Zeit überwog die Lautbedeutung der Zeichen. Heute lässt sich das Rebus-Prinzip noch im populären Rebus-Rätsel ausmachen. Können Sie die Bedeutung des Rätsels im Dr. Knotto-Comic erraten? Im Folgenden die Lösung in Geheimschrift. Jeder Buchstabe ist in unserem Kryptogramm einem Zahlenwert in der Reihenfolge unseres Alphabetes zugeordnet: 11 / 21 / 14 / 19 / 20 / 11 / 18 / 5 / 9 / 19.
Welf-Gerrit Otto (Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne 11)