„Es ist ein Ros entsprungen …“

Winterflora im Spiegel von Mythologie und Volksglaube

Wildgemüse im Jahreslauf, Teil IV: Winterschlaf

„Es ist ein Ros entsprungen /
auß einer wurtzel zart /
vns die alten sungen /
auß Jesse kam die art /
vnnd hat ein blümlein bracht /
mitten in kaltem winter /
wol zu der halben nacht.“

[Speyerer Gesangbuch, 1599]

Windzeit, Wolfszeit: Keimzeit? Winter deckt sein dunkles Tuch über schläfrige Lande. Alles ruht. Leiselnd rieselt Raureif von dürrem Geäst. Auf klammem Holz rasten zeternde Krähen. Schrillen Schreies schrecken die schwarzen Vögel kauerndes Wild im Dickicht auf. Kahl die ehemals dicht belaubten Zweige. Schier ungeeignet, schützende Deckung zu sein. Kaum bieten sie Schutz und Obdach gegen die Unbill der Jahreszeit. Schütter wogt geknicktes Rohr im brausenden Nordwest. Jetzt, da das kalte grindige Land im schräg einfallenden Licht eines kurzen Wintertages fahl schimmert und die von überfrierender Nässe triefenden Pflanzen welk und matt darniederliegen, wirkt alles leer und leblos. Doch weit gefehlt. Gilt der Herbst als Jahreszeit der Vergänglichkeit, so ist im kalten und finsteren Winter der Same für künftiges Wachstum bereits gelegt. Und das ist der Sonne zu verdanken.

Astronomisch beginnt der Winter[1] mit der Wintersonnenwende um den einundzwanzigsten Dezember. Das stetige Dunklerwerden hat in dieser finstersten aller Nächte ein Ende, denn die Sonne und damit das Leben wird gleichsam wiedergeboren – „Es ist ein Ros entsprungen […] mitten im kaltem winter / wol zu der halben nacht“, wie es im Weihnachtslied heisst.[2] Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Ewiger Kreislauf von Werden, Wachsen, Vergehen und Wiederentstehen. Der Winter ist definitiv die Zeit des Wiederentstehens, da astronomisch und kalendarisch eng verbunden mit dem wiederkehrenden Licht nach Sonnenwend. Auch wenn die Sonneneinstrahlung anfänglich nur zögerlich an Dauer und Intensität zunimmt, so ist die stärker werdende Wintersonne doch bereits der Bote des herannahenden Frühlings, der in gar nicht allzu ferner Zukunft das Land aus seinem Winterschlaf wachküssen wird.

In der kalten Jahreszeit hat sich die Vegetationskraft tief in den Erdboden zurückgezogen. Mythologisch ausgedrückt nächtigt die sommers blumenbekränzte Persephone im Winter abgeschminkt und entblättert bei Hades in der Unterwelt.[3] Dies hat den für unser Thema nicht unbedeutenden Sachverhalt zur Folge, dass die Pflanzenteile unter der Erde, sofern essbar, sich winters durch besonderen Wohlgeschmack auszeichnen: „Es ist ein Ros entsprungen / auß einer wurtzel zart.“ Die kalten Wintermonate sind daher die beste Erntezeit für wildes Wurzelgemüse, das jetzt zart und aromatisch mundet. Lenkte die Pflanze Saft und Kraft während der warmen Jahreszeit in oberirdisches Wachstum, Blattwerk, Blüten und Früchte, ruht die Lebensenergie im Winter unter der Erde.

Sommers schmecken Wurzeln, Rhizome und Knollen essbarer Wildpflanzen nicht selten fade, zäh und ledrig. Beim Sammeln von Wildgemüsen sollte man daher grundsätzlich immer jenen Teil der Pflanze ernten, der zum jeweiligen Zeitpunkt von der Wuchskraft besonders durchflutet wird. Im Frühjahr sind dies die jungen Triebe, Blüten und Blätter, im Sommer und Herbst die Früchte und im Winter eben alles, was sich unter der Erde befindet. Darüber hinaus wächst auch zu dieser Zeit oberirdisch noch einiges, was nicht verschmäht werden sollte. Unseren Vorfahren sicherten Blätter, Früchte und Wurzeln essbarer Wildpflanzen, die winters draußen noch zu finden waren, neben Lebensmitteln aus Vorratshaltung das Überleben insbesondere in Krisenzeiten.

Winterzeit: Ende als Anfang gedacht. Denn der kürzeste Tag und die längste Nacht bilden den energetischen Tiefpunkt des Sonnenjahres. Von nun an kann es nur noch aufwärts gehen. Offener Raum für die Empfängnis des Neuen. Doch bevor das Rad ewiger Wiederkehr eine neue Runde beschreitet, kommt es zu einem kurzen Zögern, einem apokryphen Stocken und Knacken im kulturellen Getriebe des Kalendariums. Die Finsternisse der Rauhnächte zwischen den Jahren brechen in die fest gefügte Menschenwelt herein, die sich mittels verschiedener apotropäischer Vorkehrungen gegen das Unheimliche zu schützen versucht. Als Rauhnächte werden die Tage und Nächte zwischen den Jahren im Volksmund bezeichnet. Astronomisch betrachtet handelt es sich dabei um die zeitliche Kluft zwischen Mondjahr und Sonnenjahr. Die Differenz wird je nach Region als Rauh-, Rauch- oder Glöckelnächte bezeichnet.

Im Volksglauben versteht man darunter zumeist den Zeitraum von Weihnachten bis zur Erscheinung des Herrn am Tag der Heiligen Drei Könige. Diese Tage, oder besser Nächte – denn hell ist es während jener Zeitspanne täglich nur für wenige Stunden – sind geradezu überfrachtet von mannigfaltigem Brauchtum. Die Rituale, Ge- und Verbote tragen allesamt das Versprechen in sich, Schutz zu bieten gegen die hereinbrechenden Mächte des Ungeordneten aus dem interstellaren Raum außerhalb der Systematik der gewohnten Zeitrechung. Sonnen- und Mondkreis passen nicht aufeinander, sind nicht bündig, verfügen über keine Kompatibilität. In sich selbst schlüssig, stehen die beiden Zyklen untereinander in einem unverbindlichen Verhältnis. Wo sich am Ende des Jahres ihre Bögen berühren, entsteht ein Leerraum, in den gleichsam das neue Jahr gesät wird.[4]

In der Zeit zwischen den Jahren öffnet sich ein schmaler Spalt. Eine Lücke im Hag, die den Blick freigibt auf die Unordnung hinter den Spiegeln menschlicher Selbstvergewisserung. Auf die Feen- und Anderswelt, auf Unterbewusstes, Triebhaftes, nicht durch die Kultur Gezähmtes. Zauberberge gewähren Einblicke in ihre alltags verborgenen Eingeweide. Fremdwelten kehren ihr Unterstes zuoberst. Naturgesetze treten außer Kraft, Grenzen zu anderen Wirklichkeiten und zum Jenseitigen verschwimmen. Oben wird unten, Demeter Hades. Es eröffnen sich schockierende Perspektiven auf das Chaos, das vielen Mythologien zufolge vor Anbeginn aller Zeiten uneingeschränkt geherrscht hat. Lange bevor die Welt schließlich in einem kosmogonischen Schöpfungsakt Ordnung und Gestalt annahm, Zyklen und schließlich Lebewesen entstanden und die Welt insgesamt mehr und mehr an Form und Verbindlichkeit gewann.

Der Begriff Chaos entstammt der antiken griechischen Mythologie. Und wenn ein großes Durcheinander gemeint ist, sagt man bisweilen Tohuwabohu. Auch dieser Ausdruck geht auf einen Ursprungsmythos zurück. In der auf Hebräisch verfassten Genesis des Alten Testaments heisst es: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer (tohu vavohu).“[5] Die Idee vom Urchaos findet in der nordischen Mythologie der altisländischen Eddadichtung einen anschaulichen Ausdruck im Bild von Ginnungagap, was etwa mit „Kluft der Klüfte“ oder „Gähnender Abgrund“ übersetzt werden kann und ein wüstes und leeres Nichts im Nirgendwo meint: „Einst war das Alter, da Ymir lebte: / Da war nicht Sand, nicht See, nicht salz’ge Wellen, / Nicht Erde fand sich, noch Überhimmel, / Gähnender Abgrund und Gras nirgend .“[6]

In den Tagen des Jahreswechsels, am Ende eines alten Durchgangs, vor dem Beginn eines neuen, grinst das Urchaos für einen kurzen Moment bedrohlich aus der zivilisatorischen Muckelecke hervor. Gemahnt uns unserer Ursprünge sowie der Unbeständigkeit alles Irdischen, das dereinst zu seinen Ursprüngen wieder zurückkehren wird. Nichts für Angsthasen also. Verdrängtes, Furchteinflößendes, Irrationales strömt durch dieses Wurmloch, wächst in der Dunkelheit der Winternacht, formt sich zu Bildern von Dämonen, Untoten, Hexen und Gespenstern. Ängstigt die Menschen in ihren schwach beleuchteten Behausungen angesichts einer übermächtigen und beseelten Natur dort draußen vor den Türen und jenseits der Zäune.

Nach germanischer Überlieferung zieht in dieser lunisolaren Zwischenzeit die Wilde Jagd unter der Führung Wotans/Odins über das Firmament. Die Sage findet sich im unterschiedlicher Ausführung in vielen Teilen Mittel- und Nordeuropas. Manchmal wird die himmlische Horde von Helden angeführt, häufiger von Gottheiten. Mitunter ist auch Frau Holle mit von der Partie.[7] Den Leuten war das unheimlich und ungeheuer. Gebote und Verbote dienten ihnen als Formeln des Geordneten und Verbindlichen, als Schutz vor dem temporären Einbruch des Chaotischen in die Taktung des Jahreskreises. Auch heute noch vermeiden einige Zeitgenossen das Wäschewaschen oder Kelleraufräumen zwischen den Jahren. Jegliche Arbeit muss vor Einbruch der Rauhnächte zum Abschluss gebracht worden sein. Keine neue Tätigkeit darf begonnen werden. Werkzeuge und andere Arbeitsgeräte haben sich akurat verstaut an ihrem vorgesehenen Aufbewahrungsort zu befinden. Nichts soll in Haus und Hof unaufgeräumt herumliegen und so dem unheilvollen Einfluss des Mittwinterspuks ausgesetzt sein.[8]

Weihnachten als christliches Geburtstagsfest wird ziemlich genau zur Wintersonnenwende gefeiert. Das ist bemerkenswert, findet sich in der Bibel doch keinerlei Hinweis auf das konkrete Geburtsdatum Jesu. In der Weihnachtsgeschichte spielen Schäfer als erste Zeugen des neugeborenen Christus eine bedeutende Rolle.[9] Das könnte, deutet man diesen Aspekt weniger symbolisch als wortwörtlich, ein Hinweis darauf sein, dass die Geburt des Religionsstifters im Frühling stattfand. Denn im Winter war es selbst in Judäa unüblich, als Schäfer draußen bei den Herden zu weilen. Im Frühling hingegen, wenn die Lämmer geboren wurden, waren die Schäfer ständig bei ihren Schafen, um im Bedarfsfall Geburtshilfe leisten zu können. Die frühen Christen feierten Ostern ohnehin als Hauptfest, galten ihnen Kreuzestod und Wiederauferstehung doch als zentrale Momente der Heilsgeschichte.

Erstmals im vierten Jahrhundert wird im römischen Festtagskalender eine Feier anläßlich der Geburt Jesu Christi erwähnt, die am fünfundzwanzigsten Dezember begangen wurde. Im neunten Jahrhundert legte die Kirche auch den Neujahrstag auf dieses Datum, sodass Weihnachten und Jahresbeginn identisch wurden. Nach mehrmaligem Wechsel des kalendarischen Neujahrstages verfügte Papst Innozenz XII. Ende des siebzehnten Jahrhunderts seine Festlegung auf den ersten Januar.[10] Die zeitliche Nähe des Weihnachtsfestes zum astronomischen Mittwinter ist indes nicht zufällig gewählt. Denn Christus selbst behauptete nach biblischer Überlieferung von sich das „Licht der Welt“ zu sein.[11] In kosmologischer Entsprechung ist seine Geburt also gleichsam auch die Geburt des neuen Sonnenjahres, das – „mitten im kalten Winter“ – die Tage wieder länger werden lässt. Im Übrigen mögen eine Vielzahl vorchristlicher Feierlichkeiten, die um die Wintersonnenwende begangen wurden, etwa die römischen Saturnalien, regionale Volksbräuche oder bestimmte Riten im Rahmen des im Imperium Romanum damals sehr populären Mithras-Kultes, mit zu der Entscheidung der Kirchenväter beigetragen haben, das Fest der Geburt des Heilands ebenfalls in diese Zeit zu legen.

Heute jedenfalls feiern wir Weihnachten und Jahreswechsel zu unterschiedlichen Terminen. Sozusagen als Ausdruck unserer säkularen Gesinnung.[12] Weihnachten als ein stilles religiöses, nach innen gewandtes Familienfest, und Silvester, als laute weltliche, nach außen gerichtete Party. Die Bezeichnung Silvester geht übrigens auf einen Papst gleichen Namens zurück, der im vierten Jahrhundert den römischen Kaiser Konstantin den Großen vom Aussatz geheilt und getauft haben soll. Im neunten Jahrhundert wurde Silvester I. deshalb heilig gesprochen. Denn sein prominenter Patient privilegierte und förderte erstmals die vormals nicht selten brutal verfolgte christliche Religion auf römischem Staatsgebiet und legte mit diesem heute als Konstantinische Wende bezeichnetem Paradigmenwechsel den Grundstein für die im Jahr Dreihundertachtzig im Dreikaiseredikt erfolgende Erhebung des Christentums zur römischen Staatsreligion, welche die nominelle Religionsfreiheit beendete und der Bewegung ein Stück weit ihre anfängliche Unschuld nahm.[13]

An Silvester und Neujahr ist das Sonnenjahr noch jung und schwach. Doch der Kreis ist ungebrochen. Und so gewinnt das Licht im vorgerückten Winter zunehmend an Intensität und Dauer. Zwar ist es draußen auch weiterhin unwirtlich, der Februar gilt als kältester Monat des Jahres: „Wenn die Tage langen, kommt der Winter gegangen.“[14] Doch da die Tage nun merklich länger werden, naht unaufhaltsam die warme Jahreszeit. Nun kann es nicht mehr lange dauern, bis sich die ersten Frühlingsboten einfinden.

Am Ende des Winters, wenn die Vorräte des Vorjahres bereits zur Neige gehen und man sehnlichst das erste frische Grün des Frühlings erwartet, feiern die Menschen vielerorten ausgelassen die sogenannte fünfte Jahreszeit. In Norddeutschland beschränkt sich Karneval beziehungsweise Fasching zugegebenermaßen überwiegend auf Kindergärten und Grundschulen.[15] Verkleidungen und Kostüme sind bei diesem Fest wesentlich, dessen deutsche Hochburgen im Rheinland und im schwäbisch-alemannischen Raum liegen. Jemand anderes zu sein, aus der alltäglichen Rolle zu fallen und über die Strenge zu schlagen, bildet das Kontrastprogramm zur gesellschaftlich eingeforderten Konformität des Alltags. Kirchengeschichtlich leiten die Fastnachtsbräuche die vierzigtägige Fastenzeit vor Ostern ein, die an Jesu Versuchung in der Wüste erinnert.

Doch die Wurzeln reichen tiefer in die Vergangenheit und haben, wie auch die übrigen Feste des christlichen Kalenders, einen unverkennbaren Bezug zu astronomischen, klimatischen und vegetativen Scheitelpunkten in der Symmetrie des Jahreskreises. Die Kontinuitätshypothese, die besagt, dass viele heidnische Rituale kulturelle und religiöse Umbruchsphasen überdauern, ist keine Frage archäologischer Beweisbarkeit, sondern geodeterministische Realität. An Fasching wird der alte Winter vertrieben. Kalte und warme Jahreszeit befinden sich in einem Wettkampf, der nicht allein symbolisch auf kultureller Ebene, sondern in erster Linie meterologisch in der Natur ausgefochten wird. Mit furchterregenden Masken, phantastischen Verkleidungen, schriller Musik und Sinnesfreuden aller Art werden Tod, Kälte, Stillstand und Schlaf überwunden und die Lebensgeister des neuen Sonnenjahres heraufbeschworen und angefeuert.

Neben dem Aspekt des Winteraustreibens erweist sich auch an Fasching der Gedanke einer „verkehrten Welt“ als zentral und sinnstiftend. Doch ist diese Anderswelt ganz im Gegensatz zu jener der mittwinterlichen Rauhnächte bar jeder Unheimlichkeit. Farbenfrohe Verkleidungen verwandeln ihre Träger und entbinden sie für eine Weile von gesellschaftlichen Rollenerwartungen, tristem Alltag und moralischen Verpflichtungen. Grenzüberschreitungen werden in dieser Zeit augenzwinkernd toleriert – etwa der gröhlende Vollrausch der Feiernden oder ihre sexuelle Promiskuität. Heute ist vieles möglich, was zu anderen Zeiten verpönt oder gar verboten ist. Deshalb haut manch einer kräftig auf die Pauke und lässt die Puppen tanzen. Man verkleidet sich als Hexe, Ungetüm, Prinz, Pirat oder Taliban.

Was man alltags nicht ist, stellt man heute dar. Frauen spielen Männer und umgekehrt. An Weiberfastnacht übernehmen die Frauen ungestraft das Regiment und spielen männlichen Passanten übel mit: Ein Relikt aus jenen Tagen, in denen von Gleichberechtigung nicht die Rede sein konnte. Bekannt ist auch der Brauch, Politiker und andere Repräsentanten des gesellschaftlichen Establishments in Büttenreden und durch speziell geschmückte Wagen aufs Korn zu nehmen.[16] Manches, wofür man zumindest in früheren Zeiten eingebuchtet oder gar um einen Kopf kürzer gemacht worden wäre, ist im Ausnahmezustand Karneval möglich. Ebenso wie die Wintersonnenwende ist auch die Fastnacht eine Zwischenzeit, in der verbindliche Ordnungen außer Kraft gesetzt sind. Maskenträger werden zu Grenzgängern zwischen Ordnung und Chaos.[17]

Nach dem entgrenzten Treiben der Närrinnen und Narren wird das kulturelle Korsett wieder fester gezurrt, der Gürtel der Mäßigung enger geschnallt. Denn am Aschermittwoch beginnt die vierzigtägige Passions- und Fastenzeit. Sie soll daran erinnern, dass biblischer Überlieferung zufolge der Messias ebenso viele Tage bei den wilden Tieren in der Wüste gefastet und den Versuchungen des Teufels widerstanden hat. Außerdem stimmen sich die Gläubigen in dieser Zeit der Askese auf Leiden und Kreuzestod ein. Mit der Karwoche und dem anschließenden Auferstehungsfest endet die Passionszeit. Der Winter ist vergangen, aus den Tiefen des Erdreichs bricht das Wachstum an die Oberfläche. Botanik erblüht zu neuer Pracht. Das Rad des Wandels setzt nicht aus, Sonnen- und Mondkreis kullern lustig nebeneinander her und gewinnen dabei zunehmend an Fahrt. Und Ostern ist dann bereits Frühling. Aus ihrem Winterschlaf erwacht die Natur zu neuem Leben. Die blütenbekränzte Persephone ist aus den düsteren Tiefen des Hades zu neuem Lichte emporgestiegen. Christus ist auferstanden. Der Kreis hat sich geschlossen, ein neuer Zyklus hat begonnen.

„In the heart of the Wood / In the closed forest / Christ appeared to me / In several forms.“ [David Tibet, 1992]

Welf-Gerrit Otto

Wildgemüse des Winters:

Löwenzahn (Taraxacum)

Wacholder (Juniperus)

Tanne (Abies)

Hörtipp zur Lektüre: The Circle is Unbroken, The Incredible String Band, Album: Wee Tam and the Big Huge, 1968 (www.youtube.com)

Literatur

Bächtold-Stäubli, Hanns (2008): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. 10 Bde. Augsburg: Weltbild.

Beuchert, Marianne (2004): Symbolik der Pflanzen. Mit Aquarellen von Maria-Therese Tietmeyer. Frankfurt a. M.: Insel.

Borchert, Wolfgang (1981): Die Hundeblume. Geschichten. Leipzig: Reclam.

Eliade, Mircea (2001): Schamanismus und archaische Ekstasetechnik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Grambow, Sindy S. (2015): Schatz, ich habe den Weihnachtsbaum aufgegessen. Kreative und kulinarische Ideen für den Tannenbaum nach den Festtagen. Norderstedt: Books on Demand.

Grimm, Jacob (1968): Deutsche Mythologie. 3 Bde. Nachdruck der 4. Aufl. (Berlin 1875-78). Graz: Akademische Druck- und Verlagsgesellschaft.

Grimm, Jacob und Wilhelm (1854-1961, 1971): Deutsches Wörterbuch. 16 Bde. in 32 Teilbänden. Quellenverzeichnis 1971. Online einsehbar unter: dwb.uni-trier.de/de (Stand 26.02.2018).

Grimm, Jacob und Wilhelm (2015): Grimms Märchen. Vollständig nach der Ausgabe von 1812/15. Mit 444 Illustrationen von Otto Ubbelohde. Köln: Anaconda.

Grotefend, Hermann (1997): Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit. Aalen: Scientia.

Kraus, Jörg (1998): Metamorphosen des Chaos. Hexen, Masken und verkehrte Welten. Würzburg: Königshausen & Neumann.

Laudert, Doris (2004): Mythos Baum. Geschichte, Brauchtum, 40 Baumporträts. 6. Aufl. München: BLV Verlagsgesellschaft.

Löns, Hermann (1924): Sämtliche Werke. Bd. 1. Leipzig: Hesse & Becker.

Marzell, Heinrich (1979): Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen. Wiesbaden: Franz Steiner.

Nowak, Kurt (1997): Das Christentum. Geschichte, Glaube, Ethik. München: C.H. Beck.

Rätsch, Christian (2009): Der Heilige Hain. Germanische Zauberpflanzen, heilige Bäume und schamanische Rituale. 4. Aufl. München: AT.

Rätsch, Christian (2014): Abgründige Weihnachten. Die wahre Geschichte eines ganz und gar unheiligen Festes. 2. Aufl. München: Riemann.

Simrock, Karl (1995): Die Edda. Götterlieder, Heldenlieder und Spruchweisheiten der Germanen. Vollständige Text-Ausgabe in der Übersetzung von Karl Simrock. Überarbeitete Neuausgabe mit Nachwort und Register von Manfred Stange. Augsburg: Bechtermünz.

Statista (2018). Das Statistik-Portal. Statistiken und Studien aus über 22.500 Quellen: Absatz von Weihnachtsbäumen in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2017. Online einsehbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/372294/umfrage/absatz-von-weihnachtsbaeumen-in-deutschland/ (Stand 19.06.2018).

Storl, Wolf-Dieter (2007): Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor. München: Knaur.

Wagemann, Gertrud (2014): Feste der Religionen – Begegung der Kulturen. München: Kösel.

Zerling, Clemens (2013): Lexikon der Pflanzensymbolik. Hrsg. von Wolfgang Bauer. 2. Aufl. Darmstadt: Synergia.

„Er rieselte die Steine, die im Mondlicht leuchten.“ [Franka, 3 Jahre: Hänsel und Gretel]

Anmerkungen

[1] Das deutsche Wort „Winter“ leitet sich wohl von „weiß“ ab. Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX: 662.

[2] „Es ist ein Ros entsprungen“. Das bekannte Kirchenlied wurde erstmals 1599 in Köln im „Speyerer Gesangbuch“ abgedruckt und ist im Laufe der Jahrhunderte mehrfach umgetextet sowie in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Der Kern seiner Botschaft indes blieb unverändert.

[3] Vgl. hierzu Teil 1: „Vom Eise befreit …“ – Frühlingsflora im Spiegel von Mythologie und Volksglaube (In: Schleswig-Holstein. Die Kulturzeitschrift für den Norden 02/2018).

[4] Einem auch heute noch weitverbreitetem Volksglauben zufolge steht während der Rauhnächte jeder Tag für einen bestimmten Monat des neuen Jahres und bietet so Raum für Spekulationen über die Zukunft.

[5] Moses 1,1-2.

[6] „Völuspa“ (Der Seherin Weissagung), Ältere Edda, Codex Regius, 13. Jh., 3 Strophe. Zit. n. Simrock 1995: 13.

[7] Vgl. Grimm 1968, II: 765ff.

[8] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, VI: 440; Grimm 1968, III: 417f.

[9] Vgl. etwa Lukas 2, 4ff.

[10] Zur Geschichte der Zeitrechnung vgl. Grotefend 1997.

[11] Vgl. Johannes 8, 12.

[12] Das Kirchenjahr, dessen erste Erwähnung sich 1589 bei Johannes Pomorius findet, folgt allerdings einer gesonderten Einteilung und beginnt mit der Adventszeit, also Anfang Dezember. Vgl. zum christlichen Jahreskreis Wagemann 2014: 21-96.

[13] Einen guten Überblick über die Geschichte des frühen Christentums bietet Nowak 1997.

[14] Bächtold-Stäubli 2008,IX: 668.

[15] Beide Begriffe orientieren sich an Nahrungstabus während der Fastenzeit. Etymologisch leitet sich Fasching von Fastenschank ab, also dem letzten Ausschank alkoholischer Getränke vor der vierzigtägigen Zeit des Verzichts. Karneval bezieht sich wohl auf die fleischlose Kost vor Ostern – carne levare (Fleisch wegnehmen).

[16] Vgl. Wagemann 2014: 41ff.

[17] Vgl. Kraus 1998.

[18] Die im Übrigen kostenlos und daher wohl auch inakzeptabel ist.

[19] Vgl. Storl 2007: 243.

[20] Luther zit. n. Marzell 1979, IV: 709.

[21] Borchert 1981: 17.

[22] KHM 47 (Von dem Machandelboom). Grimm 2015: 236-246.

[23] Die himmelwärts weisenden Bäume auf den Gemälden werden oft als Zypressen gedeutet. Es könnte sich aber genauso gut um Wacholder handeln.

[24] Löns 1924, I: 307.

[25] Vgl. Laudert 2004: 196; Bächtold-Stäubli 2008, IX: 4.

[26] KHM 47. Grimm 2015: 236-246. Die Geschichte erinnert an den Mythos von Tod und Wiedergeburt der ägyptischen Göttergestalt Osiris.

[27] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX: 1.

[28]Vgl.  „Vom Eise befreit…“ Frühlingsflora im Spiegel von Mythologie und Volksglaube. In: Schleswig-Holstein. Die Kulturzeitschrift für den Norden. 02/2018. S. 24-35.

[29] Vgl. Rätsch 2009: 109ff.

[30] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX, 6.

[31] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX: 3.

[32] Im Jahr 2000 waren es ungefähr 24 Millionen. Mit den Jahren hat der Absatz stetig zugenommen. 2017 wurden in der Bundesrepublik etwa 29,5 Millionen Weihnachtsbäume verkauft. Quelle: Statista 2018.

[33] Vgl. Beuchert 2004: 103.

[34] Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX: 903.

[35] Sebastian Brant (1494) und Geiler von Kaisersberg (1508) berichten davon. Vgl. Bächtold-Stäubli 2008, IX: 905.

[36] Vgl. Beuchert 2004: 101f.

[37] Vgl. Laudert 2004: m. Baumbuch Malte

[38] Genesis 3.

[39] Vgl. Eliade 2001.

[40] Vgl. Rätsch 2014: 121-138.

[41] Rúnatal þáttr Óðinn (Odins Runenlied), Ältere Edda in der Übersetzung von Simrock 1995: 65.

[42] Vgl. Grambow 2015.