Rosa canina 

Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm /

Es hat von lauter Purpur ein Mäntlein um /

Sagt, wer mag das Männlein sein, dass da steht im Wald allein /

Mit dem purpurroten Mäntelein.“

[Hoffmann von Fallersleben, 1843]

Die Hundsrose ist der häufigste wild vorkommende Vertreter der Gattung Rosaceae in Mitteleuropa. Ihr Name hat nichts mit dem treuherzigen Haustier zu tun, das den Menschen seit der Altsteinzeit begleitet. Vielmehr weist das Epitheton canina auf die weite Verbreitung dieser Wildrose hin, es bedeutet nämlich hundsgemein im Sinne von gewöhnlich. Etwa zwei bis drei Meter wächst der winterkahle Strauch in die Höhe und bildet unpaarig gefiederte Blattspreite aus, an denen je nach Varietät fünf oder sieben Fiederblättchen wachsen. Äste und Zweige sind mit spitzen Stacheln besetzt – nicht etwa mit Dornen, die gemeinhin mit Rosen in Verbindung gebracht werden. Etwa um die Sommersonnenwende erblüht der Strauch. Fünf weiße bis rosafarbene Kronblätter umfassen die etwa vier Zentimeter messenden zwittrigen Blüten, die schon nach wenigen Tagen verblühen. Die für Rosengewächse typischen Früchte, die Hagebutten, erscheinen im Herbst. Hundsrosen findet man überall in Europa mit Ausnahme der nördlichen Gebiete Skandinaviens. Außerdem kommen sie im Nordwesten Afrikas sowie in Vorderasien vor. Die Pflanze ist recht anspruchslos in ihren Anforderungen an die Bodenbeschaffenheit und gilt daher als Pioniergehölz, das sich auch auf devastierten Flächen schnell ausbreitet.

 

Mythos

„Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm…“ Die Bedeutung des eingangs zitierten Kinderliedes wurde mir erst bewusst, als ich selber Vater wurde. Lange Jahre hatten Worte und eingängige Melodie in meinem Unterbewusstsein geschlummert, um in dem Moment an die Oberfläche zu gelangen, als ich mit meiner kleinen Tochter durch den bunten Herbstwald spazierte. Unwillkürlich begann ich zu singen, so wie meine Eltern einstmals mir vorgesungen hatten. Und bald darauf sangen Vater und Tochter gemeinsam. Vielleicht, so dachte ich in diesem Augenblick, wird auch sie es eines schönen Tages in ferner Zukunft ihrem Kind vorsingen, und die alte Geschichte wiederholt sich ein ums andere Mal. Doch was ist das nur für ein Wesen, das da so inbrünstig besungen wird? Ein Fliegenpilz, sagten mir Bekannte, ist doch klar. Ein Zwerg, behauptete meine Tochter. Alles möglich, alles wahr. Allerdings geht man heute davon aus, dass Hoffmann von Fallersleben, der eigentlich nicht der Autor des Liedes ist, sondern sich einer alten Volksweise bediente, wohl die Hagebutte gemeint hat. Deutlich wird dies in der zweiten Strophe: „Das Männlein steht im Walde auf einem Bein / Und hat auf seinem Haupte schwarz Käpplein klein / Sagt, wer mag das Männlein sein, Das da steht im Wald allein / Mit dem kleinen schwarzen Käppelein?“

In der griechischen Mythologie stehen Rosen für Liebe, Anmut und blühendes Leben. Dementsprechend sind sie Gottheiten wie Aphrodite und Adonis zugeordnet. Der Mythos berichtet, bei Aphrodites Geburt aus dem Meer habe sich der Schaum der Brandung schützend um ihre Hüften gelegt und sich alsbald in blühende Rosen verwandelt.[1] Nachdem Maria im fünften nachchristlichen Jahrhundert auf dem Konzil von Ephesus als Gottesgebärerin dogmatisiert wurde und dadurch eine zentrale Rolle im offiziellen Christentum einnahm, gingen viele Attribute vorchristlicher Muttergöttinnen auf sie über. Bereits Vorhandenes wurde christlich umgedeutet. Alter Wein in neuen Schläuchen. Zu den archaischen Bezügen, die sich im Marienkult manifestieren, gehört auch die Rosensymbolik. Das ambivalente Wesen der Pflanze, deren zarte Blütenblätter einen krassen Kontrast zu den dornigen Ranken bilden, versinnbildlicht Erzählungen von Jungfrauengeburt und Mutterschmerz beim Tod des geliebten Sohnes.

Maria ist Rosa mystica in vielfacher Hinsicht. Ikonographisch wird die Muttergottes häufig mit Rosen dargestellt. Rosenduft umgibt sie und Rosen pflastern ihren Weg, etwa bei zahlreichen Marienerscheinungen, die zur Grundlage von Wallfahrten wurden. Nebenbei bemerkt sind Marienerscheinungen kein reines Phänomen der Vergangenheit. Im September 2017 soll die Muttergottes beispielsweise in der kleinen St.-Laurentius- Kapelle im oberbayerischen Unterflossing gesichtet worden sein. Gläubige berichteten damals von einem intensiven Rosenduft.[2] Weit über die Grenzen des Katholizismus hinaus bekannt ist auch der Rosenkranz, wobei der Terminus entweder das Rosenkranzgebet selbst oder die dabei verwendete Gebetskette bezeichnet. Auch Jesus Christus wird bisweilen mit der Rose in Zusammenhang gebracht. So sieht man ihn auf Darstellungen der Passionsgeschichte häufig mit einer Dornenkrone aus Rosenzweigen. „Es ist ein Ros entsprungen“ zählt zu den bekanntesten deutschsprachigen Weihnachtsliedern überhaupt – und fraglos zu den schönsten. Die Urfassung des vielfach umgedichteten Liedtextes findet sich im Speyerer Gesangbuch von 1599: „Es ist ein Ros entsprungen / auß einer wurtzel zart / vns die alten sungen / auß Jesse kam die art / unnd hat ein blümlein bracht / mitten im kalten winter / wol zu der halben nacht.“ Mit der Rose ist selbstverständlich Maria gemeint – mit dem „blümlein“, also der Rosenblüte, Jesus.

Edelrosen, wie sie bereits im Altertum im Orient gezüchtet wurden, kamen erst vor wenigen Jahrhunderten nach Mitteleuropa. Davor wuchsen bei uns ausschließlich Wildrosenarten, insbesondere Hundsrosen. Neben religiösen und sinnlichen Bezügen, die man ihr zugedachte, brachte man Rosen im Mittelalter oft auch in Verbindung mit Kampf, Blut und Tod.[3] Blutige Schwerthiebe nannte man „Rosen“, Hieb- und Stichwaffen selbst wurden häufig als „Rosen“ bezeichnet. Als „Rosengarten“ galt zu dieser Zeit das Schlachtfeld auf dem die im Kampf Gefallenen zumeist auch beerdigt wurden. Bis in die heutige Zeit nennt man so auch Friedhöfe in einigen Gegenden. Die Erzählung um den Rosengarten des Zwergenkönigs Laurin aus dem alpenländischen Sagenkreis um Dietrich von Bern allerdings deutet das Alpenglühen, welches an manchen Tagen durch die schräg einfallende Sonne verursacht wird, als Aufleuchten eines über die Maßen schönen Gartens inmitten ferner Gebirgswipfel.[4]

Ohnehin gehört die Rose wohl zu den in Märchen, Sage und Mythos am häufigsten in Erscheinung tretenden Pflanzen. Geradezu archetypisch ist ihre Symbolkraft. Seit der Erstauflage des ersten Bandes der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm aus dem Jahre 1812 findet sich dort die durch Märchenzuträgerin Marie Hassenpflug mündlich beigesteuerte Erzählung „Dornröschen“.[5] Schriftlich geht der Erzählstoff auf Charles Perraults Märchensammlung aus dem 17. Jahrhundert zurück. Doch wie bei den meisten Volksmärchen existiert auch in diesem Fall kein alleiniger Urheber der Geschichte, die sich in zahlreichen Variationen in verschiedenen sprachlichen und kulturellen Kontexten ausmachen lässt.[6] Erst nach hundert Jahren erblüht die dichte Rosenhecke und gewährt dem jungen Mann Zutritt ins Schloss, wo er mittels eines Kusses den Bann zu lösen vermag und die Schlafenden erweckt. Bei Dornröschen ist es die oben beschriebene Ambivalenz von liebreizenden Blüten und schmerzhaften Dornen, die Ausdruck im Sinnbild der Rose findet. In einigen Variationen des Märchens sticht sich die junge Frau auch nicht mit einer Spindel, sondern an einer Rosendorne.

Vergleichsweise unbekannt ist die in einem niederdeutschen Idiom niedergelegte Grimmsche Kinderlegende „Die Rose“. Die kurze Erzählung, deren Pflanzensymbolik weniger auf den sinnlichen Aspekt der Liebe abhebt als auf ihren sittlich-religiösen Bezug, thematisiert Tod und Seelenwanderung[7] in anrührender Weise: „Et was mal eine arme Frugge, de hadde twei Kinner; dat jungeste moste olle Dage in en Wald gohn un langen (holen) Holt. Asset nu mal ganz wiet söken geit, kam so en klein Kind, dat was awerst ganz wacker, to em un holp (half) flietig Holt lesen un drog et auk bis für dat Hus; dann was et awerst, eh en Augenschlägsken (Augenblick) vergink, verswunnen. Dat Kind vertelde et siner Moder, de wul et awerst nig glöven. Up et lest brochte et en Rause (Rose) mit un vertelde, dat schöne Kind hädde em deise Rause gieven un hädde em sägt, wenn de Rause upblöhet wär, dann wull et wier kummen. De Moder stellde dei Rause in’t Water. Einen Morgen kam dat Kind gar nig ut dem Bedde, de Moder gink to dem Bedde hen, un fund dat Kind daude (todt); et lag awerst ganz anmotik. Un de Rause was den sulftigen Morgen upblöhet.“[8]

 

Kost

Nicht nur die Hundsrose, auch die übrigen etwa zweihundert Arten der Gattung Rosaceae bilden die typischen Früchte aus, die reich an Vitamin C und Provitamin A sind und in identischer Weise in der Küche genutzt werden können. Essbare Pflanzenteile sind Blütenblätter und Hagebutten. Die süßlich schmeckenden Blüten können sehr gut im Salat oder zum Garnieren von Speisen verarbeitet werden. Bevor man die Hagebutten für die Zubereitung von Tees oder Marmeladen verwenden kann, müssen sie halbiert und die Kerne entfernt werden. Anschließend trocknet man die zerkleinerten Fruchtschalen und hat anschließend einen Wintervorrat wohlschmeckenden Tees, der die Abwehrkräfte stärkt und bei Erkältungskrankheiten und Fieber hilft. Für die Zubereitung von Marmelade wird das frische Fruchtmus 1:1 mit Zucker gekocht und in Schraubgläser abgefüllt.

 

Anmerkungen

[1] Vgl. Beuchert 2004: 280.

[2] Vgl. Dobel 2018.

[3] Vgl. Beuchert 2004: 282.

[4] Vgl. Wolff 1999.

[5] „Dornröschen“ (KHM 50), Grimm 2015: 256-260.

[6] Das Motiv der undurchdringlichen Hecke, die eine schöne Frau umgibt, lässt sich beispielsweise auch im germanischen Sigfried/Sigurd-Sagenkreis in Gestalt der Waberlohe ausmachen.

[7] Vgl. Uther 2008: 411f.

[8] „Die Rose“ (KHM 203), Grimm 1819: 294f.

Verwendete Literatur