Allium ursinum

„Iss Lauch im Frühling und Bärlauch im Mai, dann haben alle Ärzte frei.“

[Volksmund]

Bärlauch (Flora Batava, Volume XI, 1853) 

Beim Bärlauch handelt es sich um ein ausdauerndes, krautiges Zwiebelgewächs, das eine Wuchshöhe von zwanzig bis sechzig Zentimetern erreicht. Im Volksmund wird die Pflanze je nach Region auch als wilder Knoblauch, Bärenlauch, Hexenzwiebel bezeichnet. Der Bärlauch treibt im zeitigen Frühjahr aus. Mitunter brechen seine zarten Blätter bereits im März aus dem Schnee. Die Pflanze bildet nacheinander mehrere lanzenartige Blattstängel aus, die sich nach wenigen Zentimetern in breite, elliptisch-lanzettliche Blattspreite ausformen. Von April bis Mai dauert die Blütezeit. Der Blütenstiel mündet in eine stark duftende Scheindolde mit bis zu zwanzig weißblühenden zwittrigen Blüten. In der Kapselfrucht befinden sich wenige schwarze Samen. Eine Verwechslungsgefahr besteht mit dem in seiner vegetativen Phase ähnlich aussehenden, aber hochgiftigen Maiglöckchen (Convallaria majalis). Ein untrügliches Unterscheidungskriterium besteht allerdings in dem starken Lauchgeruch. Bärlauch stammt ursprünglich aus Europa und Nordwestasien. Als Neophyt findet man ihn inzwischen auch in anderen Regionen der gemäßigten Klimazone. Sein Habitat sind halbschattige Laubwälder, vornehmlich dort, wo es feucht ist, also in Auwäldern oder in unmittelbarer Ufernähe.

Mythos

Bereits der charakteristische Geruch der Pflanze verrät ihre Verwandtschaft mit Küchenzwiebel und Knoblauch. Und ebenso wie diese soll sie gegen böse Geister und andere unheilvollen Einflüsse wirken. Ursächlich dafür wird ihr eigentümliches Odeur sein. Der Mundgeruch nach dem Verzehr allerdings soll mitunter auch Vertreter des anderen Geschlechts verunsichern. Im Folgenden wird der Bärlauch mit den übrigen Vertretern der Gattung Allium zusammenfassend betrachtet. Jedes Kind weiß, dass Knoblauch gegen Vampire hilft. Lauchgewächse werden im Volksglauben apotropäisch eingesetzt.[1] Unter einem Apotropaion versteht man ein magisches Objekt oder Mittel, das wirksam gegen böse Mächte sein soll. Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen Magie und Empirie bisweilen. Und nicht alles ist daher als abergläubischer Humbug abzutun. Zum einen verwandte man Lauch als Amulett und Zaubermittel, zum anderen wurde er zu früheren Zeiten in Bäume gehangen, um Laub und Früchte vor Raupen- und Vogelfraß zu schützen. Eine auch aus heutiger rationaler Sicht nachvollziehbare Handlung, wenn man an sein spezielles Bukett denkt, das sicher eine Vielzahl von Tieren abschreckt.

Die germanischen Stämme hielten den Lauch in hohen Ehren, was wohl nicht zuletzt darin begründet ist, dass die Pflanze im kalten und lichtlosen nordischen Winter eine unverzichtbare Vitaminquelle und Nahrung gegen Mangelerscheinungen darstellte. Bisweilen wurden sogar Helden der germanischen Dichtung mit ihr als Ehrenbezeichnung tituliert: „So war Sigurd bei den Söhnen Giukis, / Wie über Halme sich hebt edler Lauch, / Wie hoch der Hirsch ragt über Hasen und Füchse, / Und glutrotes Gold scheint über graues Silber.“[2] Die Verehrung unserer Altvorderen für das heute eher als unprätentiös bis muffig angesehene Gewächs ging so weit, dass man sogar eine Rune mit ihm in Verbindung brachte. Laguz (ᛚ), die einundzwanzigste Rune des Älteren Futharks ist in ihrer Bedeutung recht vieldeutig. Neben Wasser und See wird auch Lauch als mögliche Übersetzungsvariante ins Feld geführt.[3] Das Erfahrungswissen, das die Menschen im Zusammenhang mit dem abschreckendem Geruch und dem Gesundheitswert der Pflanze sammelten, wird zweifelsohne auch auf ihre Verwendung als magisches Rüstzeug abgestrahlt haben. Ganz nach dem Motto: Was gegen Mangelernährung und Raupenfraß hilft, kann auch gegen Gespenster nicht unwirksam sein. Und so legte man Neugeborenen drei Knoblauchzwiebeln in die Wiege, um dämonische Wesen davon abzuhalten, die Kinder gegen Wechselbälger auszutauschen. Beim Einfahren des Getreides wurde Lauch an den ersten Garben befestigt, wovon man sich Schutz gegen das Verhexen der Ernte erhoffte. Und das Vieh versuchte man gegen das gefürchtete Verrufen zu schützen, indem man sie auf alle erdenkliche Arten mit Zwiebeln und anderen Laucharten ernährte, einrieb und ausstaffierte. Übrigens trägt das zum Vereinten Königreich gehörende Land Wales den Lauch in seinem Wappen. Angeblich sollen die Waliser sich in den Schlachten gegen die Sachsen im 7. Jahrhundert einen Lauch als Erkennungszeichen an den Helm gebunden haben. Nicht auszudenken was mit jenen Kriegern geschah, die ihren Lauch im Schlachtgetümmel verloren. Noch heute wird am St. David‘s-Day, dem walisischen Nationalfeiertag am ersten März, traditionell eine Lauchstange an der Kleidung getragen.

Der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805-1875) erzählt in einem Kunstmärchen von einer schadhaften Teekanne, die einer Zweitverwendung als Blumentopf zugeführt wird. Sie wird Heimstatt einer Zwiebel, die ihr Innerstes mit Wachstum und Leben erfüllt: „Es wurde Erde in mich gelegt; das heißt für eine Teekanne, begraben zu werden; aber in die Erde wurde eine Blumenzwiebel gelegt; wer sie hineinlegte, wer sie gab, das weiß ich nicht; gegeben wurde sie, ein Ersatz für die chinesischen Blätter und das kochende Wasser, ein Ersatz für den abgebrochenen Henkel und die Tülle. Und die Zwiebel lag in der Erde, die Zwiebel lag in mir; sie wurde mein Herz, mein lebendes Herz; ein solches hatte ich früher nie gehabt. Es war Leben in mir, es war Kraft, viel Kraft; der Puls schlug, die Zwiebel trieb Keime; es war, wie um zersprengt zu werden von Gedanken und Gefühlen; sie brachen auf in einer Blüte; ich sah sie, ich trug sie, ich vergaß mich selber in ihrer Herrlichkeit; gesegnet ist es, sich selber in anderen zu vergessen!“[4]

Kost

Bärlauch ist reich an Vitaminen und Mineralstoffen. Medizinisch ist das Kraut insbesondere wegen seiner Sulfidhaltigkeit von Interesse, keine andere Pflanze verfügt über derart viele Schwefelverbindungen. Umgewandelt werden die Sulfide beim Kauen in Sulfensäuren und anschließend in Thiosulfinat, welches stark antibakteriell wirkt und die Gesundheit des Magen-Darmtraktes fördert. Bärlauch wirkt entgiftend, weshalb er sich wunderbar für eine Frühjahrskur eignet. Seine Inhaltsstoffe entziehen dem Körper Schwermetalle. Außerdem hilft er bei Bluthochdruck und schützt so gegen Arteriosklerose, Schlag- und Herzinfarkt. Als Gewürz und Wildgemüse lassen sich alle Pflanzenteile verwenden. Dabei ist zu beachten, dass man stets die Pflanzenteile erntet, die zu diesem Zeitpunkt primär ausgebildet werden. Sie sind am aromatischten. Demgemäß schneidet man im zeitigen Frühling die zart sprießenden Blätter. Diese können als Beilage zu Suppen und anderen Speisen dienen – ganz so, wie man auch mit anderen Arten der Gattung Allium (Lauch) verfahren würde. Eine vorzügliche Kräuterbutter lässt sich aus den kleingeschnittenen Blättern unter Zugabe von Salz herstellen. Eingefroren hält sie sich bis zur nächsten Bärlauchernte im darauffolgenden Jahr. Ist der Frühling bereits vorangeschritten, lassen sich die noch verschlossenen Blütenknospen zu einem Kapernersatz verarbeiten. Die dunklen Samen können ebenfalls verspeist werden, etwa als Gewürz. Allerdings ist die Ernte recht unergiebig, da die einzelne Kapselfrucht recht wenige Samen enthält. Der deutsche Name der Pflanze soll übrigens daher rühren, dass unsere Vorfahren beobachtet hätten, dass Bären sich nach ihrem Winterschlaf aus phytotherapeutischen Erwägungen an dem Kraut gütlich getan haben. In der Tat gibt es vielfach Hinweise für eine gezielte Verwendung von Pflanzen durch ansonsten fleischfressende Tiere.[5]

Welf-Gerrit Otto

 

Anmerkungen

[1] Zu vorangegangenen und nachfolgenden Beispielen aus dem Volksglauben vgl. (wenn nicht anders ausgewiesen) Bächtold-Stäubli 2008, V: 2ff.

[2] Gudrunarkvida önnur (Das andere Gudrun-Lied), Ältere Edda in der Übersetzung von Simrock 1995: 219. Auch Helgi der Hundingstöter wurde als „edel Lauch“ bezeichnet. Ebd. 153.

[3] Vgl. Arntz 2009: 225.

[4] Hans Christian Andersen: Die Teekanne.

[5] Man denke dabei etwa an Hunde, die bei Verdauungsproblemen Gras fressen. Ein ulkiges Beispiel für die gezielte Verwendung von Pflanzen abseits der Ernährung ist der Konsum vergorener Früchte durch verschiedene Tierarten zum Zwecke des Rausches. Vgl. Singer/Teyssen 2005: 45f. Rentiere sollen hierzu die psychoaktiven Fliegenpilze nutzen. Vgl. Rätsch 2014: 95f.

[Verwendete Literatur]