Man mag von ihm denken was man will. Der umstrittene Philosoph und Historiker Oswald Spengler warf in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Fragen auf, die bis in unsere Gegenwart an Brisanz und Aktualität noch gewonnen haben. Aber Spengler ist nicht allein für seine Thesen zum vermeintlichen Untergang des Abendlandes bekannt. Er setzte sich darüber hinaus mit grundlegenden Aspekten der menschlichen Kultur auseinander und erkannte in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Hand für die beispiellose Kulturgeschichte des Menschen. Denn durch seine Hand wurde der Mensch erst zum Menschen – zu einem schöpferischen und nicht zuletzt auch kunstsinnigen Wesen.
Anatomisch betrachtet besteht die menschliche Hand aus 27 Knochen und 33 Sehnen. Eine Besonderheit zu anderen Primaten ist der opponierbare Daumen. Erst durch ihn werden komplizierte Handbewegungen möglich, die Affen nicht vollführen können. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass sich nach Trennung der Entwicklungslinien von Schimpanse und Mensch die Hand der Affen im Gegensatz zu jener der Hominiden evolutionär weiterentwickelt hat. Die menschliche Hand ist also genaugenommen ursprünglicher.
Der opponierbare Daumen macht den Menschen zum Homo faber, zum Handwerker und damit auch zum Künstler. Mögen Delfine und Wale größere und vielleicht auch leistungsstärkere Gehirne haben, Hände zum Formen der Welt nach ihrem Gusto haben sie nicht. Durch den längeren Daumen wirkt die menschliche Hand gleichsam wie eine hochkomplizierte Zange, mit der sich Gegenstände aufheben, drehen und halten lassen. Dadurch können Werkzeuge, Waffen und Kunstwerke angefertigt werden. Außerdem kann der Mensch seine Hand im Gegensatz zu anderen Primaten zur Faust ballen, was ihm einen weiteren Vorteil im Kampf sichert.
Doch was ist diese Grobmotorik gegen die präzisen Bewegungen der Hände? Nur durch seine Hände vermag der Mensch Werkzeuge anzufertigen, Feuer zu machen, Häuser zu errichten, Bücher zu schreiben, Höhlen- und Leinwände zu bemalen, Geigen zu bauen und anschließend auch zu spielen, um hier nur eine kleine Auswahl der Verrichtungen und Kulturleistungen zu nennen, die erst durch die anatomische Besonderheiten der menschlichen Hand möglich wurden.
Aber nicht allein für das Handwerk im weitesten Sinne ist die Hand unbedingte Voraussetzung. Unser gesamtes abstraktes und mathematisches Verständnis gründet auf ihre Anatomie. Sprechende Hände sind sprichwörtlich. Durch Gesten werden Hände zu Kommunikationsmitteln, mit denen man sich auch in der Fremde verständlich machen kann. Und das Dezimalsystem, auf dessen Grundlage die Naturwissenschaften unser gesamtes Universum herleitet und beschreibt, beruht fraglos auf den zehn Fingern unserer zwei Hände. Das hier ist übrigens die fünfte Folge von „Dr. Knottos Kooler Kunst Kolumne“. Fünf Finger – eine Hand. Zwei Hände – zehn Finger. Da stellt sich unweigerlich die Frage, wie wir unsere Welt erklären würden, wenn wir beispielsweise acht Finger an der einen Hand und einen Saugnapf an der anderen hätten.
Die nicht zu unterschätzende Bedeutung unserer Hände zeigt sich in unserer Sprache etwa an Begriffen wie Begriff, Handlung, Handel, Handhabung. Man grüßt mit der Hand und gibt sich die Hand. Übrigens steht die sich derzeit in privaten und beruflichen Zusammenhängen ausbreitende Digitalisierung ebenfalls unter dem Zeichen der Hand: Digitus ist der lateinische Begriff für Finger.
Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne