„Ein Spiel mit ernsten Problemen, das ist Kunst“
[Kurt Schwitters]
Die Lebensspanne des Merz-Künstlers Kurt Schwitters (1887-1948) fiel in eine von zahlreichen politischen Umbrüchen und Krisenszenarien geprägte Zeit: Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, Bundesrepublik, dazwischen zwei Weltkriege. An ernsten Problemen hat es damals nicht gemangelt. Gleichzeitig vollzog sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Künsten ein gewaltiger Bruch mit alten Prinzipien und Gewissheiten. So löste sich beispielsweise in der Abstrakten Malerei der Bezug zu real existierenden Objekten, die Zwölftonmusik um den Komponisten Arnold Schönberg brach mit tradierten Hörgewohnheiten und der Surrealismus thematisierte die neuen Erkenntnisse der Psychoanalyse über das Unbewusste, Traumhafte, Phantastische.
Mit dem Dadaismus entstand die erste avangardistische Anti-Kunstbewegung, die sich selber als Kunst verstand. Schwitters bewegte sich in diesem Umfeld, war aber Zeit seines Lebens niemals Teil der dadaistischen Gemeinschaft, obwohl er ihr sehr nahe stand. Der Dadaismus – oder besser: Dada – verstand sich als totale Revolte gegenüber der etablierten Kunst. Als eine absolute Absage an überkommene Ideale und Normen. Regeln und Ordnungen ließ man nicht gelten. Traditionelle künstlerische Verfahren wurden abgelehnt, stattdessen machte man sich lustig, provozierte das Establishment und praktizierte willkürliche und nicht selten auch zufallsgesteuerte Aktionen. Dadaistische Kunst näherte sich auf diese Weise wieder dem an, was man zweifelsohne als spielerischen Umgang mit der Welt und ihren Erscheinungen bezeichnen kann. Bereits Friedrich Schiller hatte das Spiel als Unterpfand menschlichen Daseins beschrieben.
Eng gekoppelt an die spielerischen Umbrüche in den Künsten waren die gesellschaftlichen Umstände jener Zeit. Die gezielten Provokationen waren gegen bürgerliche Doppelmoral, Kriegsbegeisterung und Nationalismus gerichtet. Sarkasmus und Ironie traten an die Stelle hehren Kunstverständnisses. Interessant ist in diesem Zusammenhangauch der Umgang mit Sprache. 1916 wurde das Lautgedicht bei einem Vortragsabend im Zürcher Kleintheater Cabaret Voltaire, einer ausgewiesenen Brutstätte des Dadaismus, von Hugo Ball ins Leben gerufen. Diese Verse ohne Worte waren vordergründig sinnlos, ein Spiel mit Lauten und Silben. Der Dadaist Hugo Ball beschreibt den Hintergrund folgendermaßen: „Mit diesen Tongedichten wollten wir verzichten auf eine Sprache, die verwüstet und unmöglich geworden ist durch den Journalismus. Wir müssen uns in die tiefste Alchemie des Wortes verlassen, um so der Dichtung ihre heiligste Domäne zu bewahren.“
Kurt Schwitters verfasste ebenfalls ein Lautgedicht, die sogenannte Ursonate, die in diesem Mai in Wittmund und Wilhelmshaven aufgeführt wird, in enger Zusammenarbeit mit dem Ostfriesischen Kunstkreis. Warum gerade in Wittmund? Kurt Schwitters hatte Verwandtschaft in der ostfriesischen Kleinstadt. In der Kunsthalle Wilhelmshaven startet überdies am 12. März eine Ausstellung zur Rezeptionsgeschichte des international renommierten Künstlers, der im Spiel eine wesentliche Triebfeder seines Schaffens zu sah: „Rinnzekete Bee Bee NNZ KRR MÜÜ? – Kurt Schwitters‘ Ursonate in der Kunst von heute“.
Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne, März 2022