„Ohne Wahnsinn gibt es keine Kunst.“ [Salvador Dalí]
Zeitlebens kokettierte der weltberühmte Künstler aus dem katalanischen Figueras mit Genie und Wahnsinn. Salvador Dalí (1904-1989), der mit seiner paranoisch-kritischen Methode den Surrealismus revolutionierte und zu einem der populärsten Maler des 20. Jahrhunderts avancierte, inszenierte sich selbst als völlig durchgeknallt und exzentrisch. Und dies nicht allein mittels Mode und Barttracht. Seine zukünftige Frau Gala (1894-1982) versuchte er beispielsweise mit ausgesprochen ungewöhnlichen Mitteln zu beeindrucken. So soll er etwa anlässlich eines Rendezvous ein Parfum hergestellt und aufgetragen haben, das aus Fischleim, Ziegendung und Aspik bestand. Wie Gala damals darauf reagierte, ist meines Wissens leider nicht überliefert.
Doch Dalí war nicht der einzige, der Genie und Wahnsinn miteinander in Beziehung setzte. Seit der Jahrhundertwende war die Kunstwelt stark von den neuen Erkenntnissen der Freudschen Psychologie über das Unter- und Unbewusste inspiriert. Doch bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts hatte sich kulturgeschichtlich das Bild des wahnsinnigen Genies herausgebildet. Vincent van Gogh (1853-1890, verstümmelt im Beisein von Paul Gauguin sein linkes Ohr), Friedrich Hölderlin (1770-1874, brabbelt Unverständliches in seinem Tübinger Turmzimmer) und Friedrich Nietzsche (1844-1900, hängt sich weinend vor Mitleid an den Hals eines Droschkenpferdes) stehen beispielsweise für diese Entwicklung. Dass außergewöhnliche Begabung immer auch die Komponente des psychisch Gestörten oder doch zumindest gesellschaftlich Abseitigen hat, finden wir allerdings in allen Kulturen und zu allen Zeiten. Sie durchzieht Heiligenlegenden des europäischen Mittelalters ebenso wie ethnologische Berichte über sibirische Schamanen.
Im 19. Jahrhundert jedoch wurde die Sache im Zuge der Hinwendung zu den Naturwissenschaften verwissenschaftlicht und damit pathologisiert. Jene Frauen und Männer, die neben ihren genialen Fähigkeiten auch durch ausgeprägte Marotten auffielen, waren jetzt nicht mehr nur absonderlich oder außergewöhnlich. Nein, sie gelten seitdem als psychisch krank. Der italienische Psychiater Cesare Lombroso (1835-1909) ging sogar so weit, Genie mit Wahnsinn gleichzusetzen. Seither gilt zumindest ein gerütteltes Maß harmloser Verrücktheit nicht zuletzt in populären medialen Kontexten als Unterpfand besonderer Kreativität. Als literarischer Topos beispielsweise in der Gestalt von Sherlock Holmes oder Viktor Frankenstein.
Wenn kreative und damit geniale Menschen für gewöhnlich verrückt sind, liegt der Umkehrschluss nicht fern, dass alle Verrückten über das Normalmaß hinaus kreativ sind. Das dachte sich auch der deutsche Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (1886-1933). Vor ziemlich genau einhundert Jahren, nämlich im August 1922, veröffentlichte er sein einflussreichstes Buch, die „Bildnerei der Geisteskranken“. Die darin dargestellten Zeichnungen und Malereien hatte Prinzhorn im Rahmen seiner Tätigkeit als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg zusammengetragen.
Die vollständige Sammlung umfasst mehr als 5000 Werke von insgesamt etwa 450 Patienten. Hans Prinzhorn war einer der ersten, die sich respektvoll mit dem kreativen Schaffen von Geisteskranken auseinandersetzte. Sein Buch beeindruckte Psychologen und Kunstexperten gleichermaßen und trug mit dazu bei, dass wir heute nicht allein die Kunst verrückter Genies zu schätzen wissen, sondern auch jene genialer Verrückter.
Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne 9 (Welf-Gerrit Otto 2022)