„Rauchte Günter Grass?“ [Dr. Knotto]
Diese Frage ist selbstverständlich mit Ja zu beantworten. Der kaschubische Schriftsteller, Bildhauer und Grafiker aus Danzig (1927-2015), der 1959 mit seinem Buch „Die Blechtrommel“ Weltruhm erlangte und sich bis ins hohe Alter rege an politischen und gesellschaftlichen Diskursen beteiligte, war zeit seines Lebens ein passionierter Pfeifenraucher. Dr. Knottos Frage indes bedient sich eines besonderen Sprachwitzes. Der Nachname des Schriftstellers verweist nämlich auch auf die umgangssprachliche Bezeichnung der Pflanzendroge Marihuana, genauer gesagt auf die Blüten und Blätter der weiblichen Hanfpflanze (Cannabis). Ob Grass nun wirklich Grass geraucht hat oder nicht, ist schwer zu sagen. Gepasst hätte es jedenfalls in seine Zeit. In den 1960er Jahren erlebte Marihuana, nachdem es einige Jahrzehnte in Vergessenheit geraten war, in manchen Kreisen wieder eine große Popularität, die bis heute anhält.
Allerdings hat die Bezeichnung Grass/Gras in diesem Zusammenhang nichts mit realen botanischen Bezügen zu tun. Gräser gehören taxonomisch vielmehr zur Ordnung der Süßgrasartigen, welche sich wiederum in verschiedene Gruppen unterteilt. Gemeinsam ist allen Gräsern, dass es sich bei ihnen um einkeimblättrige, krautige Pflanzen mit langgezogenen Blättern und unscheinbaren Blüten handelt, die weltweit anzutreffen sind. Die Anzahl der verschiedenen Grasarten ist indes exorbitant. Zu ihnen zählt das kleine unscheinbare Einjährige Rispengras (Poa annua), welches wir überall auf den Rasen unserer Vorgärten vorfinden und das nur etwa eine Höhe von etwa fünfzehn Zentimeter erreicht, ebenso wie der gigantische, bis zu dreißig Meter messende Moso-Bambus (Phyllostachys edulis).
Nun kann indes fraglos behauptet werden, dass Gräser unsere Zivilisation in nicht unbeträchtlichem Ausmaß revolutioniert haben. Und zwar folgendermaßen: Nach dem Ende der letzten Eiszeit vor rund zehntausend Jahren kam es ausgehend von der vorderasiatischen Levante zur Neolithischen Revolution. Aus Jägern und Sammlern wurden Ackerbauern und Viehzüchter. Nach und nach setzte sich die neue Wirtschaftsweise fast überall auf der Welt durch. Grundlage dafür waren Gräser. Die Domestikation von Schaf, Ziege und Rind erforderte ausreichend Viehfutter in Form von Gräsern. Und im Ackerbau wurden vormals wilde Getreidearten kultiviert und in ihrem Ertrag kontinuierlich optimiert. Ohne Gräser gäbe es dementsprechend heute weder Brot noch Bier. Doch auch der Haus- und Gerätebau (z.B. Bambus und Reet) sowie die Papierherstellung (z.B. Papyrus und Reis) sind ohne Gräser nicht denkbar.
Und auch in der Kunst sind Gräser nicht wegzudenken. Zahlreiche Holzblasinstrumente verwenden als Mundstück sogenannte Rohrblätter, die zumeist aus Pfahlrohr (Arundo donax) oder Schilfrohr (Phragmites australis) gefertigt werden. Etwa Klarinette, Oboe, Fagott oder auch das Saxophon. Übrigens entstand die Panflöte dem Mythos nach, als der lüsterne Hirten- und Waldgott Pan der Nymphe Syrinx nachstellte, die vor ihm Reißaus nahm und sich in ein Schilfrohr verwandelte. Pan brach die Pflanze in sieben unterschiedlich lange Teile und setzte sie zu der uns heute noch bekannten Panflöte zusammen.
Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne (Welf-Gerrit Otto 2022)