„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
[Grundgesetzt, Artikel 5, Absatz 3]
 
Der zu Lebzeiten überaus erfolgreiche impressionistische Maler und Kunsttheoretiker Max Schlichting (1866-1937) trat kurz vor der Jahrhundertwende der Berliner Sezession bei – der damals im Deutschen Reich führenden Künstlervereinigung. Kurz zuvor hatte sich die Berliner Sezession als Gegenbewegung zum bis dahin dominierenden, akademisch geprägten Kunstbetrieb herausgebildet, entwickelte sich allerdings innerhalb weniger Jahre zu einer stark kommerzialisierten Institution, deren Aktivitäten in erster Linie dem Kunstmarkt verpflichtet waren. Von künstlerischer Aufbruchsstimmung war seither nicht mehr viel zu spüren.
 
Dem undogmatischen und weltgewandten Max Schlichting ging das alles mächtig auf den Pinsel und so trat er bereits zwei Jahre später gemeinsam mit sechzehn Künstlerkollegen wieder aus der Vereinigung aus. Als Grund führte er an, dass die Sezession nicht allen Kunstrichtungen gegenüber offenstehen würde. Seiner Karriere tat das jedenfalls keinen Abbruch. Als 1912 die Große Berliner Kunstausstellung veranstaltet wurde, durfte Schlichting die Eröffnungsrede schwingen. Heute gilt diese Rede als Geburtsstunde unseres modernen Verständnisses der Kunstfreiheit, denn Schlichting forderte mit Nachdruck: „Im Gegensatz zu Privatausstellungen hat eine vom Staat unterstützte Ausstellung die Verpflichtung, alle künstlerische Bestrebungen gleichmäßig zu fördern, und jedem steht ihre Hilfe offen, der sie für seine Person anrufen will.“[1]
 
Diese Aussage von einem derartigen Nestor des Kunstbetriebs und anlässlich eines solchen herausragenden Ereignisses spiegelt das durchaus liberale und fortschrittliche Selbstverständnis der damaligen Kunstwelt wieder, die mehr als heute entkoppelt war von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Rund zwanzig Jahre später sah zu Zeiten des Nationalsozialismus die Angelegenheit dann aber alles andere als vielfältig und tolerant aus. Die Nazis missbrauchten den nicht zu unterschätzenden Zauber der Kunst ebenso wie ihre gesinnungsähnlichen Nachfolger in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik. Was nicht der gewünschten politischen Stoßrichtung entsprach, wurde als entartet oder dekadent gebrandmarkt und verboten.
 
Glücklicherweise sieht das heute und hier anders aus. Gegenteilige Auffassungen von sogenannten Querdenkern, die putzigerweise in ihren Kreisen entgegen ihres eigenen Selbstbildes oftmals sehr konform denken und nicht selten durch Intoleranz gegenüber Andersartigkeit auffallen, sind absoluter Quatsch (vgl. Dr. KKKK 2). Nichtdestotrotz muss für die Kunstfreiheit gekämpft werden. Immer wieder muss man sie neu aushandeln. Denn sie ist nicht bloß Meinungsfreiheit, sondern geht durch das irrationelle Moment in der Kunst weit darüber hinaus (und damit unter die Haut). Darin liegt ja ihre große Formkraft, die Gesellschaften zu verändern vermag.
 
Kunst und ihre Freiheit sollten der Kult der Postmoderne sein, stets gemessen mit dem Barometer der Humanität. Dumme kleine Liedchen zur Kunstfreiheit, wie etwa das von Danger Dan, spielen dabei keine große Rolle, da diese nicht mehr als bereits allseits bekannte Selbstverständlichkeiten gebetsmühlenartig und gefällig wiederholen. Kunstfreiheit sollte vielmehr dort ansetzen, wo Selbstverständlichkeiten infrage gestellt werden. Und sie ist ein Aufruf zum miteinander Diskutieren. Kunst sollte nicht einfach verboten werden. Auch unbequeme und kontroverse Themen können durch Kunst zu einem breiten gesellschaftlichen Dialog angestoßen werden. Lasst uns miteinander sprechen.

Dr. Knottos Koole Kunst Kolumne 13 (Welf-Gerrit-Otto 2023)


[1] Max Schlichting in Die Kunstwelt. Deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst. 1.1911-1912. S. 577.