Eine erstaunlich kurze Geschichte der Arbeit

„Fleiß und Arbeit lob ich nicht / Fleiß und Arbeit lob ein Bauer / Ja, der Bauer selber spricht / Fleiß und Arbeit wird ihm sauer / Faul zu sein, sei meine Pflicht / Diese Pflicht ermüdet nicht“

[Gotthold Ephraim Lessing]

Schmeckt Ihnen die Art und Weise, wie Sie ihr Auskommen bestreiten oder sind Sie froh, wenn Sie an manchen Tagen, in manchen Stunden von Ihrer Erwerbsarbeit unbehelligt bleiben? Wenn Sie Muße haben, nicht eingebunden sind in das sprichwörtliche Hamsterrad. Arbeit ist ein notwendiges Übel wird vielfach behauptet. Wer essen will, muss auch arbeiten. Andere wiederum gehen ganz in ihrer Arbeit auf, definieren sich vollkommen über sie. Interessanterweise sind das nicht unbedingt nur Leute, die kreativen, sozialen oder anderweitig sinnstiftenden Tätigkeiten nachgehen. Allein das Bewusstsein, etwas zu tun zu haben, in irgendeiner Weise gebraucht zu werden, kann bereits erfüllend sein. Und selbst der allergrößte Schwachsinn gewinnt für manche Menschen an Bedeutung, wenn man davon seinen Unterhalt bestreiten kann.

Auf den folgenden Seiten wird es ums Arbeiten gehen, genau genommen um Arbeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes in historischer und aktueller Hinsicht. Denn Arbeit ist ein vielschichtiger Begriff. Je nach Kontextualisierung variiert er inhaltlich nicht unbeträchtlich – betriebswirtschaftlich, volkswirtschaftlich, philosophisch, physikalisch. Hier wird indes auf die sozialwissenschaftliche Dimension von Arbeit abgehoben. Also auf die Art und Weise, wie der Mensch im Laufe der Geschichte sein Überleben angesichts einer anfänglich noch übermächtigen Natur sichert und inwiefern dabei Wechselwirkungen im Zusammenleben und im Verhältnis zur Natur bedeutsam sind. Obwohl der Begriff der Arbeit ein ausgesprochen weites Feld umfasst, ist er heute leider überwiegend negativ besetzt.

Man kennt das: Selten geht manch einer gerne zur Arbeit. Feierabend, Wochenende und Urlaub werden Zeiten der Erwerbstätigkeit überwiegend vorgezogen. Das spiegelt sich auch in der Wortherkunft. Denn der Begriff ist im Alt- und Mittelhochdeutschen eng verbunden mit Mühsal, Not und Knechtschaft. In anderen europäischen Sprachen sieht es ähnlich aus, etwa in den slawischen und romanischen. Das französische „travail“ ist in seiner Negativbedeutung sogar noch extremer – es geht auf ein frühmittelalterliches Folterinstrument zurück.[1]

Arbeit kann und sollte allerdings sinn- und identitätsstiftend sein, ein Mittel der Selbstverwirklichung. Ein Dienst an Gemeinwesen, Mitmensch und Schöpfung. Traurig, wenn es nur um den eigenen Vorteil geht. Wenn der Job derart hohl und sinnlos ist, dass man ihn nur des Geldes wegen erträgt. Vor kurzem begegnete ich auf einer Party einem Geschäftsreisenden, dessen Erlebnisse in fernen Ländern und Kontinenten sich auf die Kosten bestimmter Dienstleistungen, Unterkünfte und Mahlzeiten zu beschränken schienen. Je höher jene ausfielen, desto wichtiger und bedeutsamer fühlte er sich augenscheinlich. Mir war es schleierhaft, wie man beispielsweise Japan bereisen konnte und einem nachträglich nicht mehr dazu einfiel, als über die dortigen Preise von traditionellen Badeanstalten oder Taxifahrten zu schwadronieren.

Andererseits begegne ich immer wieder Menschen, die ehrenamtlich die großartigsten Dinge vollbringen. Ohne Geld dafür zu verlangen stellen sie sich in den Dienst der Allgemeinheit, kümmern sich um Kranke und Schwache, stehen mitten in der Nacht auf, um Angehörigen von Unfallopfern beizustehen, arbeiten unentgeltlich im Tierheim, im Hospiz oder fahren Essen für Wohnungslose aus. Das tun sie neben ihrem Berufsalltag, als Rentner oder auch als Erwerbslose. Ohnehin habe ich den Eindruck, dass Erwerbslosigkeit nicht unbedingt Arbeitslosigkeit bedeutet. Viele vermeintlich Arbeitslose arbeiten tagtäglich in allen möglichen Bereichen. Leider bekommen sie dafür keinen Lohn. Was bleibt sind staatliche Transferleistungen und nicht selten Hohn und Häme.

Gegenwärtig erleben wir einen enormen Wandel in der Arbeitswelt. Die rasante Entwicklung neuer Technologien seit der Jahrtausendwende ermöglicht völlig neuartige Formen der Arbeit. Automatisierung und Digitalisierung lassen alte Berufszweige aussterben und schaffen gleichzeitig neue. Arbeit entgrenzt sich zeitlich wie räumlich. In der Informationsgesellschaft der Gegenwart kann von überall gearbeitet werden. Callcenter und Homeoffice sind Begriffe der Postmoderne, die alte Zwänge aufhebt und dabei neue schafft. Doch zu diesen bahnbrechenden Entwicklungen, die im Vergleich zur gesamten Menschheitsgeschichte nur einen winzigen Bruchteil ausmachen, mehr an späterer Stelle.

Für Jahrmillionen sorgte der Mensch als Jäger und Sammler für sein Auskommen. Noch heute leben einige wenige Wildbeuter irgendwo unbehelligt im Gestrüpp. Vor rund zwölftausend Jahren kam es zu einem radikalen Umbruch in der Arbeits- und Lebenswelt der Menschheit. Aus nomadisierenden Jägern und Sammlern wurden sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter. Innerhalb weniger Jahrtausende breitete sich der neue Lifestyle über weite Teile unseres Planeten aus. Dieser Wandel hatte einschneidende Folgen nicht nur in Bezug auf die Wirtschaftsweise des Menschen, sondern auch auf seine Kultur, sein Selbstverständnis, sein Verhältnis zur Natur und sogar auf seinen Körper.

Betrachtet man den Zeitraum, der seit der Neolithischen Revolution –  wie man jenen Umbruch von der Wildbeuter- zur Bauernkultur mitunter bezeichnet – vergangen ist, so handelt es sich gleichsam nur um einen Wimpernschlag. Würde man die gesamte, etwa zweieinhalb Millionen Jahren währende Menschheitsgeschichte auf einer zweihundertfünfzig Meter messenden Zeitleiste abbilden, müßte man die Erfindung der Landwirtschaft auf den letzten Einmeterzwanzig eintragen. Für Mitteleuropa wären es sogar nur die letzten siebzig Zentimeter.

Im Folgenden soll die Geschichte der Arbeitswelt in ihren Grundzügen dargestellt werden. Dabei wird es darum gehen, große Umbrüche ohne Anspruch auf Detailgenauigkeit und Vollständigkeit herauszuarbeiten und vor dem Hintergrund der bisherigen Geschichte unserer Spezies darzustellen. Keine gelehrte Volkswirtschaftslehre oder soziologische Metatheorie ist zu erwarten, sondern ein subjektiver und romantischer Exkurs, der wider besseres Wissen das Träumen nicht verlernt hat.

Welf-Gerrit Otto

Sisyphos 1: „Die ursprüngliche Wohlstandsgesellschaft“

Sisyphos 2: „Die Vertreibung aus dem Paradies“

Sisyphos 3: „Dampfmaschinen, Automatengötter, Aufbruchstimmung“

Sisyphos 4: „Zwischen Fitnessstudio und Jobcenter“

Sisyphos 5: „Pandemischer Almanach“

Hörtipps zur Lektüre

Literatur

Ambrose, Stanley H. (1998): Late Pleistocene human population bottlenecks, volcanic winter, and differentiation of modern humans. In: Journal of Human Evolution 34 (6). p. 623-651.

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 Arbeitswelt und Weltbevölkerung im Zeitstrahl

Würde man die gesamte, etwa zweieinhalb Millionen Jahre währende Menschheitsgeschichte, auf einer zweihundertfünfzig Meter messenden Zeitleiste abbilden, müßte man die großen Umbrüche in der Arbeitswelt an folgenden Abständen gemessen von der Gegenwart markieren:

10 Jahre = 1 mm, 100 Jahre = 1 cm, 1000 Jahre = 10 cm

Jahre vor unserer Zeit Arbeitswelt Zeitleiste Population
2.500.000 Jäger  und Sammler 250 m ca. 10 Tausend (vor ca. 70.000 Jahren )
12.000 Landwirtschaft 1,20 m ca. 5 Millionen
200 Industrielle Revolution 2 cm ca. 1 Milliarde
50 Dienstleistungsgesellschaft 5 mm ca. 4 Milliarden
20 Digitalisierung 2 mm ca. 6 Milliarden
0 ca. 7,5 Milliarden